top of page

Zwischen Sonnendeck und Galeeren-Sklaven


RBB-Fernsehzentrum | Foto rbb/Hanna Lippmann


Vor einem Jahr lösten die Enthüllungen von „Business Insider“ im RBB eine Sturmflut aus, die Sendeanstalt stürzte in eine Krise, die bis heute andauert. Ein Zeitungsbericht zeigte das wahre Gesicht von Intendantin Schlesinger, die im Funkhaus wie eine absolute Monarchin agierte und das Geld der Gebührenzahler im Eiltempo versenkte. Was bleibt nach einem Jahr von der Affäre und wie denken Mitarbeiter über den ÖRR? Diese Fragen ging das RBB-Medienmagazin von "radioeins" am 1. Juli 2023 in einer Sondersendung nach. Moderator und Medienjournalist Jörg Wagner ließ eine freie Mitarbeiterin des RBB anonym zu Wort kommen und sie rechnet in drastischen Worten mit dem RBB und dem öffentlich-rechtlichen System insgesamt ab. Ihr Fazit - der ÖRR ist nicht reformierbar - im Wortlaut:

„Also von der Eruption ist für mich nur geblieben, dass das Motto weiterhin gilt: Wir sparen bis alles kaputt ist. Das ist das, was ich seit über 25 Jahren immer wieder als ständiges Mantra höre. Solange ich beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeite, geht es immer nur darum: Wir müssen sparen, wir müssen sparen. Und da ich ja größtenteils die Zeit als Freie verbracht habe, wurde natürlich zum einen immer an dem gespart, was ich für meine Arbeit bekommen habe. Aber es wurde eben auch immer an den Möglichkeiten für die Produktion gespart, um was Vernünftiges auf die Beine zu stellen. Daran hat sich gar nichts geändert.“ „Ich hatte überhaupt keine Hoffnung, als es vor einem Jahr explodiert ist, dass da irgendwelche groß-artigen Veränderungen stattfinden würden. Das kann gar nicht sein, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht reformierbar.“

„Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Riesen-Tanker. Da wird immer noch ein Deck auf-gezogen, oben, da kommt nochmal ein Sonnendeck und noch ein Sonnendeck. Und da oben steht man, trinkt Champagner, isst Canapés und fühlt sich sehr wichtig. Und unten, da sitzen die Galeeren-Sklaven und rudern um ihr Leben, bekommen immer mal ein bisschen Brot und Wasser. Wenn es dann gar nicht mehr vorwärtsgeht, dann sagt man: ‚Oh, wir müssen ein bisschen Last abwerfen‘, da schmeißt man ein paar Sklaven über Bord. Das wird jetzt nicht mehr lange dauern, und dann geht das Ding unter. Sie sträuben sich so lange oder haben sich so lange gesträubt gegen wirkliche Reformen, gegen wirkliche Strukturveränderungen, dass sie das Ding lieber vor den Baum fahren lassen, als irgendetwas an ihren Privilegien zu ändern. (…) Wenn das Ding dann untergeht, was ich sehr schade fände, dann werden die in ihre Rettungsboote steigen, die stehen bereit, und werden irgendwo in den Sonnenaufgang rudern, sich rudern lassen von den restlichen Sklaven, die sie vielleicht noch mitnehmen – und der Rest wird untergehen.“

„Man muss sich das Konstrukt angucken, das ist viele Jahrzehnte alt. Das stammt noch aus der Zeit, als es eine ganz andere technische Verbreitung gab, wo man wirklich vor Ort aus-strahlen musste, damit es in der näheren und weiteren Umgebung empfangen werden konnte. Das haben wir alles schon lange nicht mehr. Also gibt es gar keine Begründung mehr dafür, dass wir neun Landesrundfunkanstalten mit neun 24-Stunden-Fernsehprogrammen haben, dass jede Landesrundfunkanstalt vier, fünf, sechs Radiowellen hat. (…) Die ganzen Formatradios, die im Grunde genommen nur das machen, was die Privat-Dudelsender vor-machen. Mein Gott, davon reicht doch auch einer, und es reicht doch auch ein Informations-sender. Und dann wirklich auch zu sagen: Es gibt einen analogen Fernsehsender, der mit ganz vielen regionalen Fenstern arbeitet, am Vorabend zum Beispiel.“

„Das analoge Fernsehen, das wissen wir alle, ist so gut wie tot. Und das, was die ARD wirklich zu bieten hat, ARD und ZDF, das ist die Mediathek. Da muss man ran, da muss man Angebote machen. Ich denke auch, man könnte durchaus sagen, dass man für eine wesentlich geringe-re Gebühr sozusagen einen Rumpf zur Verfügung stellt, auch in der Mediathek. Dann können die Leute dazukaufen – und sie würden dazukaufen, ich würde das auch sofort machen. Aber mich interessiert zum Beispiel der Sport überhaupt nicht. Ich mache Sport, aber ich gucke mir Sport nicht an, und es ist sehr, sehr teuer. Mich interessiert auch die Unterhaltung nicht. Mich interessieren auch diese ganzen Krimis nicht, die verschlingen aber unglaublich viel Geld. Ich möchte die Dokumentationen sehen, ich möchte die Kultursendungen sehen. Dafür würde ich natürlich bezahlen.“

„Diese ganze aufgeblähte Struktur von Leuten, die unglaublich viel Geld bekommen – ich möchte nicht von verdienen sprechen –, die in den Jahrzehnten auch mithilfe der Gewerk-schaften sich die Taschen immer voller und voller gemacht haben, und wo jetzt gesagt wird: ‚Wir sind ein Rechtsstaat, wir können ja nicht einfach die Pensionsansprüche streichen‘ – doch, das müssen wir. (…) Bitte, was hat denn der (…) Rundfunkbeitragszahler mit der privaten Rente von festangestellten Mitarbeitern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu tun? Gar nichts. Warum gibt es so was überhaupt? Wie konnte so was sich überhaupt entwickeln? Das ist das Finanzielle, und wir müssen uns doch nichts vormachen, was diese angebliche politi-sche Unabhängigkeit angeht, was ja die Grundlage eigentlich dieser Gebühr ist: Da wissen wir alle, dass das Makulatur von Anfang an war.“

Warum trauen sich so wenige ör Mitarbeiter die Defizite öffentlich zu machen? Wo sind die klugen und kritischen Stimmen in den Funkhäusern? Geht (anonym) in die Öffentlichkeit und sprecht Klartext, sonst hat der ÖRR kein Zukunft mehr. Nur noch 12% der Bürger wollen lt. einer INSA-Umfrage 18,36 Euro (oder mehr) monatlich für ARD und ZDF zahlen und 6 Länder lehnen aktuell eine Gebührenerhöhung ab. Die Zeit ist reif für Veränderungen. Konzepte für einen neuen ÖRR liegen auf dem Tisch - die verantwortlichen Landespolitiker müssen, mit Medien-Experten, Farbe bekennen und das Problem grundsätzlich lösen - ansonsten wird die Akzeptanz in der Bevölkerung noch dramatischer sinken.

bottom of page