Das „Digitale Medienhaus“ war das Prestigeprojekt der fristlos entlassenen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger - ihre Nachfolgerin Katrin Vernau hat den Luxusbau gestoppt Bild: rbb/Baumschlager Eberle Architekt
Noch nie ist in Deutschland eine ör Sendeanstalt in eine fast ausweglose (finanzielle) Schieflage geraten wie der RBB in Berlin und Brandenburg. In einem FAZ-Interview (25.4.2023) spricht Übergangs-Intendantin Katrin Vernau Klartext – insbesondere über die Misswirtschaft ihrer Vorgängerin Patricia Schlesinger und der gesamten RBB-Geschäftsleitung. Bis Ende 2024 muss der Regionalsender 49,2 Mio Euro einsparen (davon 21 Mio im Programm), Planstellen abbauen, dass Programmangebot reduzieren, das ARD-Studio Warschau und das ARD-Mittagsmagazin abstoßen. Zudem kämpfen die Gewerkschaften für die or Mitarbeiter um eine satte Gehaltserhöhung (von 10,5%) und die ehemaligen Führungskräfte klagen auf Auszahlung ihrer Ruhestandsgelder. Die studierte Ökonomin Vernau (vom WDR für ein Jahr freigestellt) kann sich kaum vor Arbeit retten. Eine Frau muss nun den gro. Scherbenhaufen einer Frau beiseite räumen.
„Das Ausmaß der Misswirtschaft beim RBB habe auch ich erst aus den Medien erfahren – bevor ich nach meinem Antritt als Intendantin durch Nachfragen und eigene Recherchen noch weitere Missstände identifiziert habe. Was mir auffiel, als der RBB 2022 den ARD-Vorsitz übernommen hat: Anstatt den eigenen Sender zu konsolidieren, lag der Fokus des RBB darauf, Finanzmittel innerhalb der ARD umzuverteilen. Das habe ich als Mitglied der ARD-Finanzkommission wohl wahrgenommen“, so Vernau. Intendantin Schlesinger „neigte dazu, Kollegen, die sich mit fachlichen Argumenten zwischen sie und ihr Ziel stellten, gern auch mal zusammenzufalten – anstatt sich von fachlichen Argumenten überzeugen zu lassen. Zudem tendierte sie dazu, bei den Ausgaben in Größenordnungen zu denken, die für eine beitragsfinanzierte öffentlich-rechtliche Anstalt nicht angemessen sind“.
Solides wirtschaften war demnach im RBB fehl am Platz. Hinweise von Fachleuten „die nicht zu den Plänen passten, wurden einfach ignoriert. Beispielsweise hatte die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF) die Anstalten aufgefordert, Mehrerträge aus dem Rundfunkbeitrag in einer Sonderrücklage für die kommende Beitragsperiode anzusparen und nur für unabdingbare, nachgewiesene Mehrbedarfe mit Kenntnis der KEF einzusetzen. Der RBB hat diese Aufforderung schlicht überhört und setzte das Geld einfach im Haushaltsplan für 2023 und 2024 ein“. Zwar wurde das Rücklagen-Thema auch innerhalb der ARD besprochen, aber die neun ARD-Anstalten seien juristisch und wirtschaftlich eigenständige Unternehmen, die von ihren Aufsichtsgremien kontrolliert würden. "Vor ihnen und dem Beitragszahler müssen sie ihren Haushalt verantworten und nicht vor den anderen ARD-Intendanten", sagt Vernau.
Anmerkung: Die 12 ör Sendeanstalten (Plus Arte) sind keine Unternehmen, ihren Etat bekommen sie per Gesetz über die Gebührenzahlen zugewiesen, sie sind öffentliche Kultur-Einrichtungen.
Wie extrem die Situation um den RBB aussieht, macht Intendantin Vernau deutlich: „Wenn der RBB jetzt nicht wirtschaftlich umgesteuert hätte, wäre die Zahlungsfähigkeit Ende 2024 nicht mehr ohne Weiteres sichergestellt gewesen. Deshalb hatte sich der Finanzchef bereits um einen Dispokredit bemüht. Es ist innerhalb der ARD sehr ungewöhnlich, für laufende Ausgaben einen Kredit zu verwenden. Kredite wurden und werden in der Regel nur für die Finanzierung von Investitionen eingesetzt. Doch auch in einem solchen Fall muss ein Sender natürlich garantieren, dass dieser Kredit abgezahlt werden kann“. Wie amateurhaft Patricia Schlesinger agierte, ist am Neubau „Medienhaus“ zu erkennen – ein Projekt von über 300 Mio Euro. Das digitale Medien-Center sollte vollständig über einen Kredit finanziert werden, „was allerdings durch die Haushaltslage sehr riskant war. Beim Start des Projektes war nicht einmal klar, wie Zins und Tilgung refinanziert werden können. Hinzu kam, dass das Projekt systematisch kleingerechnet worden war. Dieses Projekt haben wir gestoppt“.
Versagt haben hier auch Verwaltungsrat und Rundfunkrat. Frau Vernau ist sich sicher, durch die geplanten Einsparungen von 49,2 Mio Euro bleibt „der RBB bis zum Ende der Beitragsperiode zahlungsfähig … ohne einen Dispositionskredit in Anspruch nehmen zu müssen. Sollte es ab 2025 allerdings keine Beitragserhöhung geben, steht für unseren Sender die nächste Haushaltskonsolidierungsrunde an“. Hier beginnt das große Zittern im Berliner Funkhaus. Noch in dieser Woche melden die ör Anstalten ihren Finanzbedarf für die Beitragsperiode 2025 bis 2028 bei der KEF an, welche dann die Zahlen überprüft und der Politik eine Empfehlung zur künftigen Höhe des Rundfunkbeitrags ausspricht. Eine Gebührenerhöhung (alle 16 Länder müssten zustimmen) wird es aber wohl nicht gegen, da derzeit mind. sieben Länder eine Erhöhung ablehnen.
Der RBB muss sich wohl oder übel gesundschrumpfen und mit weniger Mitarbeitern auskommen – derzeit sind es 1.475 Festangestellte. „Ja, wir müssen unseren gesetzlichen Auftrag perspektivisch mit weniger Mitarbeitern erfüllen. Das fordert auch die KEF. Sie unterstellt bereits seit mehreren Jahren einen Abbau von 0,5 Prozent aller Stellen der ör Rundfunkanstalten pro Jahr. Wir haben im RBB unseren Programmaufwand reduziert und bauen in den nächsten zwei Jahren 100 Stellen ab, um die Kosten wieder dem vorhandenen Budget anzupassen. Dabei helfen uns die regulären Renteneintritte. So werden bis Ende 2029 im RBB knapp 300 Festangestellte die Regelaltersgrenze erreichen, und wir werden nicht jede dieser Stellen nachbesetzen. Und dort, wo wir nachbesetzen, werden wir gezielt nach digitalen Kompetenzen suchen. Auch in der gesamten ARD scheiden rund 30 Prozent aller Beschäftigten in dieser Dekade altersbedingt aus – was einen deutlichen Handlungsspielraum eröffnet“ so Vernau.
In die Kritik geraten waren beim RBB zudem die Anzahl hoher Gehälter – im ÖRR auf Rekordhöhe. „Wir haben ein neues Konzept für unsere außertariflich Beschäftigten erarbeitet, das eine Reduzierung der Anzahl dieser Beschäftigungsverhältnisse von 31 auf 17, also nahezu eine Halbierung, vorsieht, sodass wir hier deutlich unter dem ARD-Schnitt liegen werden. Die Bezahlung ist vollständig transparent und folgt nachvollziehbaren Kriterien. Bonuszahlungen sind abgeschafft. Zudem – das war auch unseren Beschäftigtenvertretungen wichtig – erfolgt die Übertragung einer AT-Funktion auf Zeit und setzt eine entsprechend nachgewiesene Führungskompetenz voraus. Allein durch diese Veränderung im Vergütungssystem sparen wir in diesem Jahr mehr als 800.000 Euro ein und mittelfristig jährlich eine Million Euro“, Vernau wörtlich.
Die ARD als Senderverbund arbeitet seit neun Jahren noch immer an Reformpapieren, ist ja auch typisch deutsch, aber Ratschläge für Reformen an ihre Kolleginnen und Kollegen will Intendantin Vernau nicht geben. „Es steht dem RBB gerade jetzt nicht zu, der ARD Ratschläge zu erteilen. Ich habe in den vergangenen Monaten im RBB allerdings gesehen, dass wir als RBB schneller auf die Veränderungen der Medienlandschaft reagieren müssen und nicht immer auf das einheitliche Votum der ARD warten können“. Frau Vernau bringt sich aber mit eigenen Gedanken ein, so im FAZ-Interview: „Wir müssen unser Selbstverständnis überdenken. Wir stehen nicht neben und schon gar nicht über der Gesellschaft und berichten über diese oder senden an diese. Vielmehr sind wir Teil dieser Gesellschaft. Daraus leitet sich ab, dass wir uns immer wieder die Frage stellen müssen, wie wir mit dem, was wir können und was unser Auftrag ist, den größtmöglichen Nutzen stiften: für einzelne Menschen, aber auch für die Gesellschaft als Ganzes. Daraufhin, und ob wir wirklich auch weiterhin unsere Nutzer erreichen, sollten wir unser Tun stets überprüfen. Also: weniger um uns selbst kreisen, weniger Standortinteressen verteidigen, weniger Diskussionen und Sitzungen, mehr die Beitragszahler und den gesellschaftlichen Nutzen im Blick behalten und mehr Vernetzung“.
Frau Vernau will die interessierten Bürger und Medien-Experten mitnehmen: „Wir müssen uns zudem darum kümmern, dass wir diejenigen, die uns als ÖRR Rundfunk schätzen, für uns sprechen lassen – damit meine ich all die Kulturschaffenden, all die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, all die anderen öffentlichen Institutionen, all die Lehrer und Wissenschaftler und auch die Politik auf allen Ebenen – und eben auch all die Bürgerinnen und Bürger, die in ihrem Alltag erleben, wie wertvoll und wichtig der ÖRR für sie ist. Dieser Punkt erscheint mir angesichts der derzeitigen, doch stark auf die Höhe des Rundfunkbeitrags gerichteten öffentlichen Diskussion als besonders bedeutsam“. Dann stellt sich aber die Frage, warum Katrin Vernau monatlich ein Presse-Interview gibt – aber eine Pressekonferenz mit Journalisten und Publizisten zu den Medienthemen ablehnt, obwohl nach ihrer Auffassung der Dialog zum Medienalltag gehört.
Das der ÖRR, nicht nur der RBB, effizienter und transparenter werden muss, auch bei den Finanzen ist für Intendantin Vernau selbstverständlich. „Wir müssen unsere Reformen in Verwaltung und Technik vorantreiben, … wir sind den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber verpflichtet, Rechenschaft darüber abzulegen, wofür wir den Beitrag verwenden“. Bei Planung und Rechenschaftslegung „müssen wir uns von der internen Sicht auf unsere Struktur verabschieden und vielmehr auf das abheben, was wir wirklich mit dem Beitragszahlergeld zu tun gedenken – also auch hier die Perspektive des Nutzers einnehmen. Für ihn ist es uninteressant, wie eine ARD-Anstalt intern organisiert ist oder ob die eine ARD-Anstalt wichtiger ist als die andere. Ihn interessiert unser Angebot. Das muss die Geschäftsführung im Blick haben, aber auch jeder Mitarbeiter, der beim ör Rundfunk arbeitet“. Das zudem die Mitglieder im Verwaltungsrat die beruflichen Voraussetzungen zur Kontrolle der Senderleitung mitbringen müssen, muss natürlich sichergestellt sein – daran haperte es im RBB massiv.
In Köln beim WDR war Katrin Vernau seit 2015 Verwaltungsdirektorin. Im Mai 2019 wurde sie für eine zweite Amtszeit mit 55 von 59 Stimmen gewählt. Bei ihrer Wahl zur RBB-Übergangsintendantin erhielt sie im ersten Wahlgang 12 und im zweiten Wahlgang 16 von 20 Stimmen und im Herbst möchte sie noch einmal antreten: „Ich bin, das habe ich bereits auf der Belegschaftsversammlung im Februar gesagt, bereit, den Plan, den wir gemeinsam für den RBB erarbeitet haben, auch umzusetzen. Denn ich bin überzeugt: Das ist der richtige Plan“. Oder mit anderen Worten, wer einmal auf dem Chefposten sitzt, möchte nicht wieder als Direktorin zum WDR zurück. Und dann muss die studierte Ökonomin Vernau auch das "Denkmal" Schlesinger mit den gro. Finanzlöchern beseitigen.
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