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Blutiger als die Polizei erlaubt

Die große Krimi-Flut in 13 von 19 ARD/ZDF-Programmen

„Bleiben sie wo sie sind, verhalten sie sich ruhig – sie sind umzingelt, wir haben sie im Visier“, so könnte es ein Oberkommissar in Dortmund-Nord beim Einsatz quer über die Straße rufen. Aber, gemeint sind hier nur die alltäglichen Krimi-Zuschauer öffentlich-rechtlicher Programme in ihren gesicherten Wohnungen vor dem Fernseher. Und damit die Zuschauer nicht auf falsche Gedanken kommen und zur Konkurrenz umschalten, Streamingdienste abonnieren oder sich DVD-Krimis im Einzelhandel kaufen, werden die Fernsehkanäle von ARD und ZDF mit über 100 verschiedenen Serien und Filmen zur besten Sendezeit geflutet – bis das Blut aus den Geräten rinnt. Jeden Tag haben ARD, ZDF, die Dritten, ZDFneo, ARD One, 3sat oder Arte das Programm um 20.15 Uhr mit Krimis fest im Griff. Freitags und samstags laufen im ZDF Serien wie „Der Alte“, „Die Chefin“, „Wilsberg“, oder „Ein starkes Team“, sonntags die ARD-Klassiker „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. Auch montags und mittwochs zeigen ARD und ZDF zur besten Sendezeit Krimis, dazu kommt der „Donnerstags-Krimi“ im Ersten, in dem die Kommissare in halb Europa auf Ganovenjagd gehen. Und dann die Dritten, ZDFneo, ARD One, … Krimis fast zu jeder Stunde. „Mord ist ihr Hobby: Unzählige Fernsehzuschauer lieben Krimis, die Einschaltquoten für kriminelle Machenschaften in Filmen und Serien sind (sehr) hoch. Kein Wunder, dass die Sender die Nachfrage nach Mord und Totschlag mit immer mehr Krimis befriedigen“, so die Berliner Morgenpost bereits am 15.2.2017. Und so bleibt für Familien- und Drama-Serien, Science-Fiction-Serien, Dokumentationen oder Filme ohne Bezug auf Gewalt und Verbrechen immer weniger Platz, doch das ist vielen Verantwortlichen beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen völlig egal. „Es wird im Großen und Ganzen nur noch das gemacht, was einigermaßen narrensicher funktioniert – und das sind in der Regel eben Krimis“, ist aus der ARD zu hören.

„In Deutschland begann man schon sehr früh mit den Krimiserien. Das hat Geschichte, schließlich hatte Fritz Lang bereits 1931 mit „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ fast alle Stilmittel späterer Kriminalfilme bereits angelegt“, so Professor Mathias Allary von der Filmhochschule „Macromedia“ in München. Schon ab den 50er Jahren wurden sehr erfolgreiche Krimi-Serien im Fernsehen ausgestrahlt. So ab 1953 die Serie „Der Polizeibericht meldet“, in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei kreiert, bei der authentische Kriminalfälle nachgespielt wurden. „Stahlnetz“ war ebenfalls eine sehr erfolgreiche Krimiserie die ab 1958 lief. „Blaulicht“ nannte sich ab 1959 die erste Krimiserie im DDR-Fernsehen. Und 1960 ging die Polizeiserie „Funkstreife Isar 12“ auf Sendung. Dazu kamen unzählige Serien aus den USA und westeuropäischen Ländern.

Auch wenn es damals nur drei schwarzweiß-Programme gab, so fieberten die Zuschauer jeder Krimi-Serie zu. Von 1969 bis 1976 flimmerte der Meister aller Kommissare über die Bildschirme: Kommissar Herbert Keller (Erik Ode), in der ZDF-Serie „Der Kommissar“, versah seinen Dienst in ruhiger und humorvoller Art. Unaufgeregt löste der Kommissar mit seinen Assistenten Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm), Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz) und Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper) bzw. Erwin Klein (ab Folge 71, als Nachfolger seines Bruders Fritz) die Fälle in allen 97 Folgen. Dazu kam die Kriminalassistentin Rehbein(chen), die Schauspielerin Helma Seitz, die aber vorwiegend klassische Vorzimmeraufgaben erfüllte. „Der Kommissar“ ist eine Krimiserie mit Niveau – ohne Action, eben Krimi pur.

Die Recherche von Glenn Riedmeier (TV WUNSCHLISTE) vom 30.04.2016 veranschaulicht die Entwicklung der jährlich ausgestrahlten Krimiserien in aller Deutlichkeit. 1958 kam die ARD auf nur vier Sendungen, 1966 waren es 11, 1976 waren es 16, 1986 waren es 14, 1996 waren es schon 23 und 2006 waren es noch 20. Der große Anstieg kam erst Anfang des Jahrzehnts: Von 24 Krimiserien im Jahr 2010 ging es 2011 auf 31 hinauf; 2012 waren es schon 39 und 2015 ist die ARD bei 48 verschiedenen Krimireihen angekommen. Das ZDF kann das aber mit Leichtigkeit noch toppen. Im ersten Sendejahr 1963 liefen bei den Mainzern 8 Krimiserien, 1966 waren es schon 14, 1976 ging die Zahl auf 6 Krimiserien zurück, 1986 ging es wieder auf 14 hinauf, 1996 waren es schon 17. Ab der Jahrtausendwende schoss die Anzahl hoch hinaus: 2000 waren es 25 Krimiserien; 2002 waren es schon 31, 2003 bereits 43 Formate, 2006 ging es rasant auf 54 Serien hinauf, 2009 waren es 63, bevor das ZDF im Jahr 2015 mit ganzen 70 ausgestrahlten, unterschiedlichen Krimiserien einen neuen Rekord aufgestellt hat.

Und Glenn Riedmeier weiter: Das ZDF hat im Jahr 2015 insgesamt 437 Krimis ausgestrahlt – aber es sind nur die Erstausstrahlungen. „Rechnet man sämtliche ausgestrahlte Krimiwiederholungen mit ein, kommt eine Gesamtsumme von sagenhaften 2061 Ausstrahlungen heraus“. Dazu kommen noch insgesamt 2504 Krimifolgen (in der Regel Wiederholungen) bei ZDFneo. Zusammengerechnet brachten es ZDF und ZDFneo 2015 also auf unglaubliche 4565 Ausstrahlungen. „Davon waren übrigens allein 1517 Ausstrahlungen der diversen „SOKO“-Serien. Die Kollegen des Ersten Deutschen Fernsehens schafften es auf ebenso beachtliche 544 Ausstrahlungen. Insgesamt waren 2015 also im Ersten, im ZDF und bei ZDFneo 5109 Krimis zu sehen“ so Riedmeier – plus Krimis aus weiteren Programmen. Und im Jahr 2016 wurde es auf den Bildschirmen noch blutiger: In 13 ARD/ZDF-Programmen wurden insgesamt 8840 Krimi-Serien, -Filme und Thriller ausgestrahlt.

Im Jahr 2018 wird die Krimi-Flut in 13 von 19 öffentlich-rechtlichen Programmen einen neuen Höhepunkt bzw. Blutzoll erreichen: In einer typischen Fernsehwoche (1.9.-7.9.2018) werden 186 Krimis aller Art ausgestrahlt (2016 waren es 170). Hochgerechnet auf das gesamte Jahr wären das unglaubliche 8840 Kriminalfilme bzw. -Serien – pro Tag stolze 26,6 Krimis. Aber der Krimiwahnsinn ist noch zu toppen: Am 15. Juli 2018, ein christlicher Sonntag, wurden in 8 ARD/ZDF-Programmen 35 Krimis ausgestrahlt. Und diese Serien werden zum großen Teil im Ausland produziert – da viel preiswerter. Zum Nachteil der deutschen Filmwirtschaft. Was ARD und ZDF massive Kritik von allen Berufsgruppen vor und hinter den Kameras einbrachte.

Doch warum lieben die Zuschauer Fernsehkrimis, was fasziniert sie an den nicht selten brutalen Geschichten über Verbrechen? Das ist zum einen die Angstlust, wie etwa der Münchener Psychologe Stephan Lermer erklärt: Ihm zufolge sorgen Krimis für angsteinflößenden Nervenkitzel, der aber auszuhalten ist, denn der Mord findet ja nur auf dem Bildschirm statt. Also, ein Null-Risiko-Vergnügen. Andere Experten wie der Marburger Medienwissenschaftler Karl Prümm betonen, dass Krimis vor allem das Gerechtigkeitsempfinden der Zuschauer befriedigen – die gezeigten Verbrechen werden in der Regel gelöst, die Täter dingfest gemacht. Der Ethnologe Thomas Hauschild aus Halle an der Saale weist darauf hin, dass Krimis zum Spannungsabbau beitragen. Gleichzeitig erzeugten vor allem die Krimi-Reihen, die regelmäßig an einem bestimmten Wochentag gezeigt werden, Orientierung. „Tatort“, „Polizeiruf 110“ oder „Soko“ seien liebgewonnene Rituale und Gewohnheiten, die Vorfreude erzeugen, was Psychologe Stephan Lermer als „Adventseffekt“ bezeichnet, so in der Berliner Morgenpost am 15.2.2017. Das aber ist nur ein schwacher Trost für die Zuschauer (und Beitragszahler), die von der Krimischwemme genervt sind und sich mehr Vielfalt in den ARD/ZDF-Programmen wünschen.

Es gab Zeiten, da produzierten die Öffentlich-Rechtlichen erfolgreiche Familienserien wie „Ich heirate eine Familie“, „Die Schwarzwaldklinik“, „Die Wicherts von nebenan“ und „Die Unverbesserlichen“, Abenteuerserien wie „Auf Achse“ mit Manfred Krug (ebenso „Liebling Kreuzberg“) oder gar Science-Fiction-Serien, wie die unvergessliche „Raumpatrouille“, auch wenn das vor Jahrzehnten war. Vereinzelte Lichtblicke wie „Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen“, „Der Tatortreiniger“ oder „Lerchenberg“ täuschen nicht darüber hinweg, dass ARD und ZDF größtenteils dem Krimiwahn verfallen sind. Die eindeutige Entwicklung in Richtung Monotonie ist nicht von der Hand zu weisen. Das Dilemma: Die überwiegend guten Einschaltquoten geben den Verantwortlichen sogar Recht. Eine Auszeichnung für abwechslungsreiches oder gar mutiges Fernsehen haben sich die Anstalten mit ihrer Programmpolitik allerdings nicht verdient.

Darüberhinaus wird der Sendeauftrag für ARD und ZDF, mit 8840 Krimi-Serien, -Filme und Thriller im Jahr, sträflich hintergangen. Zum Verdruss vieler Fernsehzuschauer, Rundfunk-Mitarbeiter, den Kreativen und der deutschen Film- und Fernsehwirtschaft. Es bleibt abzuwarten, wie lange die Zuschauer noch bereitwillig die tägliche Fastfood-Krimi-Kost in sich aufsaugen und wann die Abwanderung aus den blutigen Programmen einsetzen wird. Und im Übrigen, die Mitglieder in den Rundfunk-Gremien und die Ministerpräsidenten haben die Aufsichtspflicht über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Aber vielleicht werden ja nur deshalb so viele Krimis produziert, damit die deutsche Auto-Industrie eine Fernsehbühne für Deutschland und die Welt, für ihre immer nagelneuen Autos, zur Verfügung hat. Sehr zum Ärger der deutschen Polizeibeamten, denn die müssen im Dienst mit einfachen und leistungsschwachen Dienstfahrzeugen auf Verbrecherjagd gehen. Nachtrag: Wann kommt der ARD „Bermuda-Krimi“ für den Donnerstag und die „SOKO-Lerchenberg“ für den 18-Uhr-Termin im ZDF?

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