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Wahl-Krimi im ZDF-Fernsehrat


Norbert Himmler, ZDF - Tina Hassel, ARD - Foto ZDF/Markus Hintzen - ARD/Thomas Klerok


Das ZDF bekommt mit Norbert Himmler den eigenen Programmdirektor zum neuen Intendanten und am 15. März 2022 zieht er in ein größeres Büro. Die Entscheidung im ZDF-Fernsehrat am 2. Juli fiel erst im dritten Wahlgang, nachdem seine Herausforderin Tina Hassel von der ARD ihre Bewerbung zurückgezogen hatte. Von 60 Stimmen entfielen 57 Stimmen auf Himmler, es gab eine Nein-Stimme und zwei Enthaltungen. Nötig war eine Drei-Fünftel-Mehrheit – 36 von 60 Stimmen. Im ersten Wahlgang entfielen 24 Stimmen auf Tina Hassel und 34 auf den Favoriten Norbert Himmler, bei zwei Enthaltungen.


Das Rennen um die Nachfolge von Thomas Bellut war überraschend eng geworden. Im ersten Wahlgang hatte Hassel, die vom roten „Freundeskreis" ins Rennen geschickt wurde, noch 24 Stimmen auf sich vereinen können, im zweiten waren es sogar 28 Stimmen, Himmler, vom schwarzen „Freundeskreis“ aufs Schild gehoben, erhielt 32. Dabei gelang es Hassel sogar zwei Stimmen aus dem „Himmler-Lager“ für sich zu gewinnen. Notwendig wurden am Vormittag/Mittag zwei Pausen von jeweils 35 Minuten, um den „Freundeskreisen“ Zeit für Beratungen zu geben. Dennoch entschied sich die Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios für den Rückzug aus dem Rennen um den höchsten ZDF-Posten.

"Ich möchte im Sinne des Öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) und eines starken ZDF, dass aus einer kleinen Mehrheit eine große Mehrheit wird - dass sie alle für Herrn Dr. Himmler stimmen werden", erklärte Hassel nach dem zweiten Wahlgang. "Eine Wahl mit echten Alternativen ist die Krone der Demokratie. Ich reite sehr erhobenen Hauptes hier vom Hofe." Für ihren Entschluss, den Weg für Himmler freizumachen, erhielt Hassel daraufhin lautstarken Applaus von den 60 Mitgliedern des Fernsehrats.


Die Vorsitzende des Fernsehrates, Marlehn Thieme, begrüßte das Votum für Himmler. "Ich freue mich, dass wir einen versierten Programmgestalter und herausragenden Manager mit der Leitung des ZDF betrauen", sagte sie nach der Wahl. "Wir kennen Norbert Himmler aus den Beratungen des Fernsehrates sehr gut und schätzen insbesondere seine strategische Kompetenz, vor allem bei der digitalen Weiterentwicklung des ZDF. Für die vor ihm und uns liegenden Herausforderungen wünsche ich ihm eine glückliche Hand. Wir werden seine Arbeit kritisch und konstruktiv begleiten." „Ich habe großen Respekt vor der Aufgabe, die auf mich zukommt“, sagte Himmler im Anschluss an die Wahl vor Journalisten. Er freue sich über das Vertrauen und sei glücklich über den Rückenwind. „Es war ein toller Wettstreit und ich habe mich über das Ergebnis des dritten Wahlgangs gefreut“. Die Rede von Tina Hassel hatte Norbert Himmler übrigens nicht gehört, "ich war mit meiner Bewerbungsrede beschäftigt".


Das der Wahltag in Mainz anders verlief als erwartet, hat wohl auch mit den beiden schwarzen und roten „Freundeskreisen“ zu tun. Im Fernsehrat haben eher die bürgerlich-konservativen Mitglieder die Mehrheit und so wurde eigentlich ein Start-Ziel-Sieg von Himmler erwartet. Vor rund vier Wochen wurde überraschend Tina Hassel (eher grün-rot orientiert) als Kandidatin ins Spiel gebracht. Beobachter vermuten dahinter eine sozialdemokratische Strategie – organisiert von der Staatskanzlei (SPD) in Mainz. Danach ginge es der SPD weniger darum Frau Hassel auf den „ZDF-Thron“ zu hieven sondern es war eher „eine Machtdemonstration um der Macht willen“ (Medienkorrespondenz).


Die SPD kämpft verzweifelt um ihre öffentliche Wahrnehmung. Bei den Wahlprognosen für den Bundestag und das Berliner Landes-Parlament wird sie mit nur 16 bis 18 Prozent taxiert und in vielen Bundesländern krebst sie unter der 10-Prozent-Marke herum. Zumal Frau Hassel bis heute mit dem ZDF gar nichts zu tun hatte, Karriere hat sie nur im WDR gemacht: Auslandskorrespondentin, Moderatorin, Redakteurin, WDR-Auslandschefin und aktuell Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios. Somit war sie eine politische und mediale Überraschungskandidatin. Ihr Rückzug nach dem zweiten Wahlgang kann auch strategisch gesehen werden – es war ein öffentliches Schaulaufen für eine zukünftige Intendanten-Wahl in der ARD, zum Beispiel als Buhrow-Nachfolgerin im WDR.

Beide Kandidaten präsentierten sich am Vormittag vor dem Fernsehrat, Hassel sprach als erste, 27 und Himmler als zweiter, 21 Minuten lang. Sie skizzierten ihre Pläne für das ZDF und dabei waren die Akzente doch sehr ähnlich. Tina Hassel wählte das Motto „Raum für das Wir“ und Norbert Himmler hatte den Slogan „Ein ZDF für alle“. In den Reden betonten beide Bewerber das die Anstalt ZDF die Gemeinschaft stärken und einer Spaltung der Gesellschaft entgegen wirken und für noch mehr Akzeptanz in der gesamten Bevölkerung werben müsse – insbesondere in den östlichen Bundesländern. Hassel erlaubte sich ein paar kleine Spitzen, etwa indem sie auf den Reichweitenerfolg von tagesschau.de hinwies, dem das ZDF mit heute.de hinterherhinke. Himmler verwies auf die Vielfalt in Programm und Sender, die er als Programmdirektor schon geschaffen habe, nicht zuletzt durch innovative Angebote bei ZDFneo mit Serien und Comedys und in der Mediathek. Er hatte zuvor in einer Rede im Fernsehrat angekündigt, die Geschäftsführung weiblich besetzen zu wollen und plädiert, Vielfalt im ZDF deutlich sichtbarer zu machen. Hassel kündigte unter anderem an, den Sender im Falle eines Wahl-Siegs bis 2025 "weitgehend klimaneutral" zu machen und hob die Dringlichkeit von "Dialog-Plattformen" um die Ausspielwege des ZDF herum vor.

Tina Hassel hatte am Vormittag dem Fernsehrat zunächst ihr "Manifest" für das ZDF vorgestellt, der einen Zehn-Punkte-Plan für die kommenden Jahre umfasste. Ihr erklärtes Ziel: "Ein Fernsehen, das verbindet". Mit Blick auf die jahrelange Marktführerschaft des ZDF räumt sie ein: "Da gucken wir als ARD neidisch drauf." Es reiche jedoch nicht alleine, die beste Nummer eins des linearen Fernsehens zu sein. Stattdessen macht sich Hassel für "überraschende und formatsprengende Programmierungen" und "Aufmersamkeitsraketen" stark, so wie es Joko und Klaas mit ihrem Pflege-Special bei ProSieben gelungen sei.

Norbert Himmler machte deutlich, Partnerschaften (beim ZDF gibt es insgesamt 56) stärken zu wollen, um sich gegen Global Player zu behaupten. Er machte sich für eine "enge Partnerschaft mit den deutschen Produktionsfirmen" stark und sagte: "Das ZDF soll der erste Partner der Kreativen in Deutschland sein." Daneben will Himmler als Intendant auch die Zusammenarbeit mit der ARD und dem Deutschlandradio ausbauen. Anders als Hassel machte sich der ZDF-Programmdirektor jedoch nicht für eine gemeinsame Mediathek mit der ARD stark. Stattdessen strebt er eine "technische Partnerschaft" an: "Beide Partner behalten ihre Eigenständigkeit, ihr eigenständiges Gesicht."

Nach seiner Wahl sprach Norbert Himmler von einem "tollen Wettstreit um Konzepte" mit Tina Hassel. "Ich bin ein Kind des ZDF, das brauche ich nicht leugnen, und es war schon mein Wunsch, auch weiter im ZDF Verantwortung tragen zu können." Dass der Intendanten-Posten einmal auf ihn zukommen könne, sei ihm vor zehn Jahren bewusst geworden, als er schon einmal die Nachfolge von Thomas Bellut antrat - damals als Programmdirektor. "Ich habe aber nicht darauf hingearbeitet, seit ich Volontär war", so Himmler auf der Pressekonferenz (PK). Aber, "das ZDF hat mir viele Chancen gegeben“. Am Ende seiner Rede vor dem Fernsehrat hatte er zuvor bereits deutlich gemacht: "Ich brenne für dieses Haus und seinen Auftrag". Er wolle das ZDF "modernisieren und, wenn nötig, auch verteidigen". Das ZDF erhält mit Himmler den sechsten Intendanten. Seine Vorgänger waren Karl Holzamer, Karl Günther von Hase, Dieter Stolte, Markus Schächter und dem seit 2012 amtierenden Intendant Thomas Bellut.

Himmler wird das ZDF wohl nicht nur verteidigen sondern auch große Einsparungen vornehmen müssen. Auf der PK wurde gezielt nach der Nichterhöhung der Rundfunkgebühr gefragt: „Das ist eine schmerzhafte Frage“. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Erhöhung von jährlich 400 Mio. Euro (für den ÖRR) ablehnen, müsse “in fast allen Bereichen über Einsparungen geredet werden”. Ein Minus von jährlich 150 Mio Euro für das ZDF ab 2022 sei „schwer zu verkraften“. Der Sender-Etat liegt bei 2,2 Mrd. Euro (davon 2 Mrd. aus dem Rundfunkbeitrag). Das ZDF beschäftigt rund 3.500 feste Angestellte im Sendezentrum Mainz, dem Hauptstadtstudio Berlin sowie in 16 Inlands- und 18 Auslandsstudios. Hinzu kommen noch rund 4500 freie Mitarbeiter, wobei diese Zahl rund 1.900 Vollzeitäquivalenten entspricht. Und bis 2030 werden 1.200 Mitarbeiter in Pension gehen.

Norbert Himmler wurde in Mainz geboren. Der 50-Jährige startete Ende der 90er Jahre als freier Mitarbeiter der „heute“-Redaktion beim ZDF, es folgten Volontariat, Redakteursanstellung und ein Reporter-Job im Landesstudio Rheinland-Pfalz wurde. Die nächsten Stationen: 2002 Programmreferent des damaligen ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender, anschließend Leiter der Programmredaktion, Leitung der Hauptredaktion Spielfilm und seit 2012 Programmdirektor des ZDF. Als sein „Meisterstück“ gilt der Aufbau von ZDFneo als „Innovationsmotor“ des Senders – mit besonderen Serien, vor allem aber als Talentschmiede für Leute wie Joko Winterscheidt, Klaas Heufer-Umlauf und Jan Böhmermann.

Ein weiterer Punkt auf der PK war die Informations-Offensive von RTL und PRO7: „Die Privaten erkennen, welchen Mehrwert Informationen haben – ich bin gespannt, was RTL und PRO7 anbieten werden. Wir sehen uns mit „heute“ und „heutejournal“ gut aufgestellt“, so Himmler. Auf die Frage, ob das ZDF zwischen 19.25 und 21.45 Uhr nicht mehr Informationen anbieten müsste (derzeit sind es nur vier 45-Minuten-Sendungen sonntags/montags/dienstags) und nicht nur geballte Unterhaltung, bat der zukünftige Intendant um Geduld. „Ich kann das Interesse und die Neugier verstehen, aber geben sie mir die Zeit bis März 2022. Zudem will ich erst mit den Mitarbeitern sprechen“, sagte Himmler entspannt. Und an die ARD gerichtet: „Ich bin für eine Zusammenarbeit, wir bekämpfen uns nicht und es gibt eine gute Rollenaufteilung zwischen ZDF und ARD“.

Angesprochen auf die „Freundeskreise“ meinte Himmler, „er sei überparteilich und kein Vertreter eines „Freundeskreises“. Die Rats-Vorsitzende Thieme fügte hinzu: „Es gibt im Fernsehrat keine Parteikader wie früher – die „Freundeskreise“ bilden sich frei und die 60 Rats-Mitglieder können frei entscheiden ob sie dort hingehen oder nicht“.

Noch-Direktor und Bald-Intendant Dr. Norbert Himmler kann ab März 2022 seinen Worten Taten folgen lassen und auch die Kritiker überzeugen, die ihn an diesem Freitag insbesondere in den ersten beiden Wahlgängen nicht gewählt haben. Für seine Wegstrecke hier schon einmal vier kritische Anmerkungen:

Das ZDF ist seit Jahren der TV-Quoten-Gewinner – wird es jetzt aber nicht einmal Zeit, neben reichweitenstarken Unterhaltungssendungen auch anspruchsvolle (Informations-, Ratgeber- und Kultur-) Sendungen entsprechend dem ör Sendeauftrag ins Programm zu nehmen, im Tages- und Abendprogramm? Zumal Sie Herr Himmler, ja auch nicht von den (z.B.) „Aldi-Lidl-Vergleichen“ überzeugt sind, wie Sie sagten. Also nach der Kür, nun die Pflicht.

Das ZDF ist zwar insgesamt erfolgreich bei den Quoten, aber es ist auch ein „Senioren-Sender“. Liegt der Altersdurchschnitt in der Bevölkerung bei rd. 44 Jahren, sind es beim „ZDF“ 64, bei „ZDFinfo“ 59 und bei „ZDFneo“ 55 Jahre. Und dabei war „neo“ doch als Programm für die jüngeren Zuschauer geplant und gegründet worden. Was ist dbzgl. falsch gelaufen und wie müssen Änderungen bei allen ZDF-Programmen aussehen?

Laut einer Umfrage lehnen 65 Prozent der gesamten Bevölkerung in Deutschland das Gendern ab, eine Mehrheit gibt es bei allen Parteianhängern. Warum ignoriert ein Teil der ZDF-Belegschaft (gleiches in der ARD) den Wunsch der Mehrheitsgesellschaft? Das ZDF ist eine öffentliche Einrichtung und kein privater Frei-Raum, wo einzelne Redakteure und Reporterinnen ihre ganz persönlichen Vorstellungen von Sprache durchsetzen können.

Zumal für den öffentl. Dienst die „Gender-Sprache“ nicht verpflichtend vorgeschrieben wurde. Ein Minderheit im ÖRR nutzt ihre Machtposition vor den Kameras aus - eine Situation, die andere Beschäftigte im öffentl.- und staatl. Dienst nicht haben. Der ÖRR soll „nicht belehren“ (Tina Hassel) und hat „keinen Erziehungsauftrag“ (Tom Buhrow).

Das ZDF legt als öffentl.-rechtl. Sendeanstalt großen Wert auf Transparenz. Warum werden die Sitzungen des ZDF-Fernsehrats nicht direkt im (z.B.) ZDFinfo-Programm übertragen? Ergänzt mit medienkundigen Sendungen zur Einordnung und Analyse. Am 1. Juli teilte Karin Haug (Mitglied im Fernsehrat, Journalistin aus Flensburg) über Twitter mit: „Jetzt wird es ernst. Norbert Himmler und Tina Hassel stellen sich den Fragen vom Fernsehrat. Wir treffen uns im Sportstudio. Bisher ein spannender Nachmittag. Schade, dass er nicht-öffentlich abläuft“. Und warum stellen sich die ZDF-Verantwortlichen aller Ebenen nicht den (kritischen) Fragen und Anmerkungen der Zuschauer monatlich in Publikumssendungen? Die Allgemeinheit finanziert das ZDF, dann sollte das Personal auch mit den Bürgern und Beitragszahlern ganz direkt im Studio reden und diskutieren. Das wäre der Beginn einer ZDF-Medien-Demokratie!


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