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Massenkommunikation 2020: Junge Generation kehrt klassischen Medien den Rücken zu



Seit 1964 wird mit der „Langzeitstudie Massenkommunikation“ im Auftrag von ARD und ZDF das Medien-Nutzungsverhalten der Deutschen (und seit einigen Jahren auch der deutschsprachigen Ausländer) beobachtet. Im neuen Forschungsbericht der 12. Welle der ARD/ZDF-Massenkommunikation Langzeitstudie liegen die Daten für 2020 vor und dabei zeichnen sich einige Veränderungen ab. Die Nutzungszeit der Menschen mit dem Bewegtbild steigt und die Nutzung klassischer TV-Inhalte bleibt weiterhin mit großem Vorsprung dominierend. Dieses gilt aber nur bei den über 30-Jährigen. Denn in der jungen Generation der 14- bis 29-Jährigen brechen die Marktanteile der klassischen TV-Anbieter extrem ein. Im Jahr 2020 verbrachten die jungen Leute sogar erstmals mehr Zeit mit Inhalten von Streaming-Anbietern als mit jenen der klassischen TV-Anbieter wie ARD & ZDF, RTL & PRO7. Und auch dann, wenn deren Mediatheken und die Nutzung von TV-Inhalten über YouTube mit einberechnet werden.


Das Sehen von Fernsehinhalten im TV oder von Videos in den Sendermediatheken, auf Plattformen wie YouTube oder bei Video-Streamingdiensten ist die am weitesten verbreitete Rezeptionsform: Mit einer Gesamt-Tagesreichweite von 86 Prozent liegt Bewegtbild knapp vor Radio oder sonstigen Audioinhalten (82 Prozent). Artikel und Berichte – sei es in Zeitungen, Zeitschriften, auf Webseiten oder in sozialen Medien – oder Bücher lesen im Durchschnitt 47 Prozent der Bevölkerung pro Tag. Knapp die Hälfte der gesamten Mediennutzungszeit (424 Minuten) entfällt auf Bewegtbildinhalte mit netto 213 Minuten (+ 9 Minuten im Vergleich zu 2019), gefolgt von Audio (179 Minuten, – 7 Minuten) und Artikeln (53 Minuten, – 1 Minute).


Dabei entfielen 73 Prozent dieser Bewegtbild-Nutzungszeit noch immer auf das lineare Fernsehen (live oder aufgenommen), nur 14 Prozent auf Videos bei Streamingdiensten wie Netflix, Prime Video, Joyn oder TVNow. Zwar gibt es eine Verschiebung hin zum Streaming, sie vollzieht sich aber nur langsam: Im Vorjahr betrug das Verhältnis noch 78 zu 10 Prozent. Die TV-Sender profitieren davon, dass Streaming bei der älteren Bevölkerung nach wie vor eine Randerscheinung ist. In der Altersgruppe 50-69 entfällt nur 4 Prozent der Nutzungszeit auf Netflix & Co, aber 88 Prozent aber auf lineares Fernsehen. Bei den Über-70-Jährigen sind die Anteile mit 1 zu 95 Prozent noch eindeutiger verteilt.


In der jungen Generation zeichnet sich ein völlig anderes Bild. Bei den 14- bis 29-Jährigen entfielen nur noch 29 Prozent der täglichen Bewegtbild-Nutzungsdauer auf lineares Fernsehen, ein Rückgang um 6 Prozentpunkte im Vergleich zum Jahr 2019. Hinzu kommen weitere 4 Prozent der täglichen Nutzungszeit welche das klassische Fernsehen mit seinen Mediatheken oder seinen Inhalten auf YouTube erzielt. Das ist eine Halbierung im Vergleich zum Vorjahr. Der gesamte TV-Anteil sank damit von 43 auf 33 Prozent. Gewinner sind die Streamingdienste wie Netflix & Co., auf sie entfallen nun 39 Prozent der täglichen Bewegtbild-Nutzungszeit, ein Plus von 5 Prozentpunkten. Noch weit stärker gewachsen ist die Zeit, welche die junge Generation mit „Videos bei weiteren Angeboten im Internet“ verbringen. Dazu gehören YouTube und ebenso soziale Medien von TikTok bis Instagram. Schon 25 Prozent der täglichen Bewegtbild-Nutzung entfällt auf diesen Bereich, 2019 waren es nur 19 Prozent.


Allerdings profitieren die TV-Anbieter auch von der Tatsache, dass sich der Konsum beim Bewegtbild von 151 Minuten in 2019 um 35 Minuten auf 186 Minuten pro Tag in 2020 bei den 14- bis 29-Jährigen erheblich erhöht hat. Dazu beigetragen hat insbesondere die Corona-Krise und den damit verbundenen Ausgangsbeschränkungen. Jugendliche, die nicht mehr in die Schule gehen konnten und junge Erwachsene konnten somit mehr Zeit bei sozialen Medien als auch bei Netflix & Co. verbringen. Aber und das ist die große Veränderung beim Medien-Nutzungsverhalten, erstmals in der Geschichte der Studie, die seit 1964 in der Regel jährlich durchgeführt wird, ist das Bewegtbild in der jungen Generation die Nutzungsform, auf welche die meiste Zeit entfällt. Noch bis 2019 wurde mit Audio-Inhalten (Radio und Musik hören) die meiste Zeit verbracht.


So wie sich beim Bewegtbild in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen ein Wandel vollzog, ist dies auch im Audio-Bereich der Fall. In der Gesamtbevölkerung dominiert noch immer das klassische Radio mit einem Nutzungsanteil von 74 Prozent, allerdings war das ein Rückgang um 5 Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr. Aber in jungen Generation entfällt nur noch 36 Prozent der Nutzungsdauer auf das klassische Radio, 44 Prozent aber auf kostenpflichtige Musik-Streamingdienste. Im Vorjahr fiel das Verhältnis mit 42 zu 32 Prozent noch zugunsten des klassischen Radios aus.


Auf die Frage, warum Menschen ganz bestimmte Angebote nutzen, lautet die Antwort:


Bei den Streamingdiensten geht es vor allem um Spaß, Entspannung und „weil ich dort selbst bestimmen kann, wann ich was nutze“ und „weil es dort Inhalte gibt, die ich nur dort finde“.

Das lineare Fernsehen mit festen Sendezeiten hat hier einige Nachteile, bietet aber insgesamt betrachtet ein deutlich ausgewogeneres Profil mit unterschiedlichen Angeboten: Über 80 Prozent der Nutzer geben nämlich an, dort auch nach „Informationen“ zu suchen. Immerhin 78 Prozent der Befragten, die das Angebot mehrmals im Monat nutzen, attestieren den öffentlich-rechtlichen TV-Anbietern, „glaubwürdige Inhalte“ anzubieten (3. Platz). Allerdings verneinen immerhin starke 22 Prozent diese Aussage und haben sich, so häufig nach eigenen Aussagen, von ARD und ZDF abgewendet. Bei den privaten TV-Anbietern (8. Platz) halten allerdings nur schwache 35 Prozent deren Inhalte für glaubwürdig. Damit rangieren sie in Sachen Glaubwürdigkeit nur knapp vor den Sozialen Netzwerken (9. Platz), die auf 27 Prozent kommen. Ganz vorne liegen hier öffentlich-rechtliche Radioanbieter (1. Platz) knapp vor Zeitungen und Zeitschriften (2. Platz). Musik-Streamingdienste sind auf Platz 4, private Radio-Sender auf Platz 5, Video-Streamingdienste auf Platz 6, YouTube oder andere Videoportale auf Platz 7.


Beim Thema, ob die eigene Wahrnehmung mit der Medienrealität überein stimmt, geben 72 Prozent der Gesamtbevölkerung an, dass dieses mit ihrem eigenen Bild „voll und ganz/weitgehend“ übereinstimmt. „Weniger“ sagen 22 Prozent und „überhaupt nicht“ sagen 5 Prozent. Die Zustimmungswerte sind in allen sozialen Gruppen fast gleich hoch: West 73, Ost 69, Männer 70, Frauen 74, ab 14 Jahre 71, ab 30 J. 69, ab 50 J. 72 und älter ab 70 Jahre sogar 78 Prozent. Insgesamt betrachtet sind es hier hohe Zustimmungswerte, dennoch sollten die Medien, auch und gerade der ör Rundfunk, auf eine sehr ausgewogene Berichterstattung achten und alle kritischen (pro-demokratischen) Stimmen mehr Zeit und Raum schenken. Dies wäre für die Gesellschaft wichtig und würde sich positiv zum gesellschaftlichen Zusammenhalt und Stärkung der Demokratie auswirken.


Der Intendant des Hessischen Rundfunks und Vorsitzende der ARD/ZDF-Forschungskommission Manfred Krupp zur Studie:


„Corona hat gezeigt: Die Menschen verlassen sich auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, insbesondere in Krisenzeiten. Das macht unseren besonderen Wert aus. Und dies spornt uns auch an, unsere Angebote im Fernsehen, Radio und im Netz stetig weiter zu entwickeln. Besonders im Fokus stehen dabei die ARD-Audiothek und die ARD-Mediathek.“

Der Intendant des ZDF und stellvertretende Vorsitzende der ARD/ZDF-Forschungskommission Dr. Thomas Bellut wörtlich: „Die Studie unterstreicht, wie wichtig die öffentlich-rechtlichen Sender für die Zuschauerinnen und Zuschauer sind, um zuverlässige Informationen zu erhalten – insbesondere während der derzeitigen Corona-Pandemie. Auch als gemeinschaftsstiftendes Medium hat sich das Fernsehen gerade in Zeiten des „Lockdowns“ bewährt. Gleichwohl wird die nonlineare Nutzung von Videoinhalten besonders bei den Jüngeren immer wichtiger. Hier sind wir mit der ZDFmediathek auf einem guten Weg.“


Zur Methode: Die Daten der ARD/ZDF-Massenkommunikation Langzeitstudie 2020 basieren auf einer repräsentativen Dual-Frame-Stichprobe von insgesamt 3.003 deutschsprachigen Personen ab 14 Jahren in Deutschland. Die Studie wurde vom Institut GIM durchgeführt und dauerte von Ende Januar bis Ende April 2020. Ausführliche Analysen werden in der Fachzeitschrift „Media Perspektiven“ (www.media-perspektiven.de) veröffentlicht. Die Website www.ard-zdf-massenkommunikation.de hält Daten und ergänzende Informationen bereit.

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