ARD-Vors. und SWR-Intendant Kai Gniffke - Foto SWR
Vor zwei Jahren hat SWR-Intendant Kai Gniffke den ARD-Vorsitz übernommen und zum Jahresende 2024 gibt er ihn turnusgemäß ab und zwar an hr Intendant Florian Hager. Stolz ist Gniffke darauf, dass es innerhalb der ARD gelungen sei einen neuen Teamspirit zu entwickeln. „Die Intendantinnen und Intendanten haben verstanden, was notwendig ist: Wir brauchen eine neue ARD, wir brauchen eine Reformagenda“ (Rheinpfalz 8.11.2024). Und dennoch moniert er das seine Anstrengungen viel zu wenig wertgeschätzt werden. „Wenn es gut läuft, dann verändert keiner was. Natürlich brauchten wir Veränderungsdruck. Darum haben wir nach der (RBB-Schlesinger-) Krise 2022 gesagt: Das müssen wir ändern. Und wir haben es geändert. Genau deshalb schmerzt es, wenn unsere Anstrengungen nicht gesehen werden. Es gibt einen Kampfgeist in der ARD: Wir wollen unserem Publikum beweisen, dass wir ihr Vertrauen verdienen“.
Als Gniffke den ARD-Vorsitz übernommen hat, hat er sich auf die Fahnen geschrieben, die Transformation zu beschleunigen. „Ich sehe immer erst Chancen, nicht Grenzen. Eine Grenze für mich ist allerdings die Überforderung unserer Kolleginnen und Kollegen in den Häusern. Die darf nicht sein. Natürlich schwören wir alle auf den gemeinsamen Kurs ein, wir erklären, wozu wir diese Veränderungsprozesse anstoßen. Wir haben schon viel bewegt, die Leute sind echt unter Dampf. Umso mehr enttäuscht es mich, wenn ich höre oder lese, dass die Reformagenda, die wir aus uns heraus angestoßen haben, nicht geschätzt, mitunter gar nicht wahrgenommen wird. Das ist wenig motivierend für die Menschen, denen wir echt viel zumuten in unseren Häusern“.
Kai Gniffke ist ein Kind des ÖRR. Schon während seiner Studienzeit war er dort tätig, und jeder Mensch der in seinem Berufsleben nur den öffentlichen Dienst kennengelernt hat, muss naturgegeben so reden. Personen die mit einer kaufmännischen Ausbildung und/oder einem Ökonomiestudium in der Privatwirtschaft tätig sind, werden über die Gniffke-Gedanken nur müde lächeln können. Wenn ein Unternehmer bzw. Manager Strukturreformen vornehmen muss, wird grundlegend neu strukturiert und sich nicht im Klein-Klein aufgehalten. Es geht ja im Kern um die Existenz des Unternehmens und dieser Punkt ist bei ARD und ZDF bekanntlich völlig unbekannt.
Das eindimensionale Gniffke-Denken ist im ARD-Pressegespräch am Donnerstag (28.11.24) deutlich geworden. Voller Stolz berichtete der ARD-Vorsitzende, dass ab dem 2. Januar täglich für die Popwellen der ARD jeden Abend ein gemeinsames Radioprogramm, das treuhänderisch von SWR3 produziert und zur Übernahme angeboten wird, startet. Vor drei Jahren hätten wir das für unmöglich gehalten, so Gniffke. Sechs Popwellen werden dieses Gemeinschaftsprogramm zu unterschiedlichen Startzeiten am Abend ausstrahlen: MDR JUMP, WDR 2, hr3, SR 1, NDR 2 sowie Bremen Vier. Diese kooperierte Strecke "Pop – die Abendshow" beginnt um 20.00 Uhr, am Wochenende und an Feiertagen bereits um 19.00 Uhr. Unter der Woche wird ein Musik- und Unterhaltungsformat mit Interviews mit Künstlerinnen und Künstlern, Musik-Rubriken und Unplugged-Highlights angeboten. Zudem werden die Hörerinnen und Hörer jederzeit schnell und seriös über relevante und aktuelle Themen aus Deutschland und der Welt informiert.
Auch wenn die SWR3 Redaktion in Baden-Baden deutschlandweite Entwicklungen jederzeit aktuell im Programm bearbeiten wird, können einzelne Popwellen bei besonderen Lagen oder Gefahrensituationen in ihrem Sendegebiet zu jedem Zeitpunkt aus dem Gemeinschafts-programm aussteigen und für ihre Hörerinnen und Hörer eigenes Programm anbieten. Die Popwellen der ARD kooperieren zudem auch in der Nacht (MDR JUMP, WDR 2, hr3, SR 1, NDR 2, Bremen Vier, rbb 88,8). Mit der "Popnacht" bietet SWR3 wie bislang auch ab Mitternacht täglich bis 5.00 Uhr (an Wochenenden und Feiertagen bis 6.00 Uhr) diese Versorgung an. Was hier von Kai Gniffle so vollmundig als (große) Reform angepriesen wird, hat doch mind. zwei Schönheitsfehler: Bei der ARD-Popwelle fehlen die Sendeanstalten aus Bayern (BR) und Berlin-Brandenburg (RBB) und der Vorschlag für ein bundesweites SWR3-Programm (für den ganzen Tag) wurde bereits 2017 im Reform-Konzept „Rundfunk-Agenda 2020“ (https://www.neue-ard-forum.de/dossier) ausgearbeitet.
Und auch aus seiner Ankündigung, einen Spartensender einzustellen, an sich bis heute nichts getan. Da können Journalisten noch so oft nachhaken, die ARD liefert nicht. Die Politik hat im Oktober auf ihrer Leipzig-Konferenz reagiert und fordert gleich die Einstellung von vier Programmen. Dazu Kai Gniffke: „Ja, dann ist das eben so“. Ja, da müssen öffentl. Führungs-kräfte zum jagen getragen werden. So ist das leider. Sehr still ist es auch um die Gniffke-Ankündigung aus dem Frühjahr betr. Reduzierung seines Jahresgehalts geworden. Wird er darauf angesprochen, wiegelt er gekonnt ab, das Thema war nicht Gegenstand der Beratungen auf den ARD-Beratungssitzungen. Dabei übertrifft der Sozialdemokrat Gniffke (seit Anfang der 80-er Jahre in der SPD) mit 404.480 € das Jahresgehalt von SPD-Freund Olaf Scholz (Bundeskanzler u. MdB) um über 40.000 €.
Nicht amüsiert war der ARD-Chef Gniffke über eine Aussage in der FAZ vom 26.11.2024. Dabei geht es um die Debatte um die Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks/ÖRR und die Worte von Conrad Clemens (CDU), Koordinator der unionsregierten Bundesländer und Chef der Staatskanzlei Sachsens. „Die jetzige Klage von ARD und ZDF vor dem Bundesver-fassungsgericht, die einen Kompromiss der Länder bei der künftigen Beitragsfestsetzung erschwert, zeigt, dass das bisherige System nicht mehr zeitgemäß ist. Deshalb ist es richtig, auch mit Blick auf die nächste Beitragsperiode, hier eine Änderung vorzunehmen. Ich sehe weiterhin die Chance, dass die Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember einem System-wechsel zustimmt.“ Zwei Aussagen lassen bei Conrad Clemens aufhorchen: „schwierig, einen Kompromiss zu finden“ und „Chance“. "Bekanntlich haben ARD und ZDF sich sehr bemüht, das Reformpaket scheitern zu lassen", so die FAZ.
"Das vom Hamburger Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) angesprochene Junktim zwischen dem Reformpaket und einem neuen Finanzierungsstaatsvertrag bedeutet, dass es ohne die Einigung der Ministerpräsidenten über die künftige Finanzierung auch keine Reformen gibt. Die Anrufung des Bundesverfassungsgerichts einen Tag vor der Beratung der Rundfunkkommission lässt nur den Schluss zu, dass die Intendanten auf Widersprüche zwischen den Ländern setzen und hoffen, dass sie sich nicht auf eine neue Methode, den Rundfunkbeitrag festzusetzen, einigen.“ Diese FAZ-Zeilen verursachten bei Kai Gniffle leichte Zornesrötungen im Gesicht. Mit wenigen Worten hat ein Journalist das schöne Reformhaus von Gniffke zum Einsturz gebracht.
Wie der ARD-Vorsitzende Kai Ullrich Gniffke (64 Jahre) mit zunehmender Kritik umgeht, lässt sich auch an den ARD-Pressegesprächen aufzeigen. Alle zwei Monate können Medien-Journalisten zu (fast) allen Medienthemen die ARD-Führungsleute befragen, im Gegensatz zum ZDF (warum eigentl. Intendant Norbert Himmler?). Bei den letzten zwei Terminen (ARD-Sitzungen in Köln und Mainz) wurden die Redezeiten deutlich auf nur noch jeweils rd. 30 Minuten reduziert, statt wie üblich 60-75 Minuten und die Chatfunktion (Fragen schriftlich stellen) wurde gar nicht mehr angeboten. Auch so hat der Medienprofi Gniffke die Möglichkeiten zu Kritikäußerungen massiv reduziert. Für die Glaubwürdigkeit des ÖRR in einer funktionierenden Demokratie ist das wahrlich kein gutes Zeugnis. Da bleibt nur zu hoffen, dass Florian Hager (48 Jahre) vom hr wieder mehr Demokratie im Umgang mit Medien-Journalisten zulassen wird. Und da er innerhalb der ARD als Reformer gilt und auch für ProSieben tätig war, dürfen sich die Journalisten auf das Pressegespräch am 12. oder 13. Februar 2025 in Frankfurt wohl schon jetzt freuen. Neue Ideen und Leute braucht der ÖRR für seine eigene Zukunft.
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