Von 399 Koalitions-Stimmen nur 364 für die neue und alte Kanzlerin
Angela Merkel wäre fast gescheitert. Sie erhielt zu ihrer Wahl zur Bundeskanzlerin nur neun Stimmen mehr als erforderlich. Von den drei Regierungsparteien CDU, SPD und CSU (399 Sitze), könnten 35 Abgeordnete der Kanzlerin Merkel die Gefolgschaft verweigert haben. Allerdings war die Wahl geheim und so wird wohl jeder dieser Abgeordneten sein Abstimmungsverhalten für sich behalten. Von insgesamt 709 Abgeordneten nahmen nur 692 an der Wahl teil (17 fehlten), vier Stimmen waren ungültig, es gab neun Enthaltungen und 315 Nein-Stimmen. Ob nun alle Gegenstimmen aus den Regierungsparteien kamen oder auch nur ein Teil, ist unerheblich. Etliche Sozialdemokraten hatten sich gegen eine vierte Groko bzw. Minko (Minus-Koalition – Verlust von rd. 14% bei der letzten Wahl) ausgesprochen und somit gegen eine weitere Kanzlerschaft von Merkel. Insbesondere Politiker vom linken Flügel. Gut möglich, dass auch aus der Union Abgeordnete gegen Merkel gestimmt haben. Vor allem konservative Politiker, die mit der Politik von Merkel und dem Kurs der CDU insgesamt unzufrieden sind. Und auch jene, die Merkel nach drei bzw. vier Amtszeiten nicht mehr im Kanzleramt sehen möchten, weil sie große Sorgen um die (alte) Volkspartei CDU haben. Genauso könnte Angela Merkel aber auch einige Stimmen aus anderen Fraktionen erhalten haben – insbesondere von den GRÜNEN (die wollten ja unbedingt mitregieren) oder sogar aus der FDP. Beide Parteien waren an den sogenannten Jamaika-Verhandlungen beteiligt. Aber das sind Spekulationen.
Nach der Wahl von Merkel standen die SPD-Abgeordneten nicht auf und nicht alle applaudierten. Fraktions-Chefin Andrea Nahles war sehr erstaunt über das Ergebnis, „es waren mehr Gegenstimmen, als ich erwartet hätte“ und da „kann ich mich nur wundern“. Und der ehemalige Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann schrieb auf Twitter, „die Regierungsmehrheit stehe zwar, das Ergebnis sei aber keine große Koalition“. Auch der Juso-Chef Kevin Kühnert äußerte sich kritisch über Twitter: „Die Groko hat Angela Merkel quasi das volle Vertrauen ausgesprochen“. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki sieht im Ergebnis, dass „die Groko eigentlich eine kleine Koalition ist“ und es ist kein gutes Zeichen das es so viele Abweichler gibt. Von den GRÜNEN erhielt Merkel keine Stimmen, so Britta Haßelmann. „Wir haben sie nicht unterstützt, weil es hier um die Wahl der Kanzlerin der Neuauflage der großen Koalition ging“. Die knappe Mehrheit von neun Stimmen über der notwendigen Mehrheit sei ein „denkbar wackeliger“ Start. „Das Gewürge zwischen Union und SPD, wie wir es aus den Koalitionsverhandlungen kennen, geht jetzt schon weiter“, und „diese Koalition ist von Beginn an kein Signal für Aufbruch. Kein Esprit, keine Lust auf Gestaltung von Zukunft – das ist mit dem heutigen Tag und dem Ergebnis deutlich geworden“, so Haßelmann. Der gleichen Meinung ist Linken-Chefin Katja Kipping: „Nur 9 Stimmen über dem Durst“, schrieb Linken-Chefin Katja Kipping auf Twitter. „Das ist ein holpriger Start für Merkel und die neue Regierung.“
Die AfD spricht auf Twitter von einer „herben Klatsche“ für Merkel. Mit der erneuten Ernennung Merkels zur Kanzlerin wurde dem Land nach Ansicht von AfD-Fraktions-Chefin Alice Weidel „nichts Gutes getan“. Sie hoffe, dass es sich um die letzte Legislaturperiode Merkels handele. „Irgendwann reicht es dann auch“. Merkel gehe mit „Rechtsbrüchen“ in der Euro-Rettungspolitik und der Öffnung der Grenzen als „Unrechtskanzlerin“ in die deutsche Geschichte ein. Und die frühere AfD-Chefin Frauke Petry (nun fraktionslos) überreichte der Kanzlerin nach der Wahl ein Buch mit dem Titel: „Höhenrausch – die wirklichkeitsleere Welt der Politiker“. Das Buch des Journalisten Jürgen Leinemann ist bereits 2004 erschienen und handelt davon, wie Macht Politiker verändert.
Die neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer (auch AKK genannt) reagierte dagegen per Twitter überschwänglich auf das Ergebnis: „Klare Wahl, reibungsloser Start. Jetzt mit aller Kraft für Deutschland!“. Oder wie die Überschrift des Koalitionsvertrages lautet: “Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Die nächsten 3 ½ Jahre werden zeigen, ob die vierte Merkel-Regierung Positives für die Bürger und das Land bewegen kann oder ob es ein weiter so geben wird. Ob also mehr verwaltet statt (mutig) regiert bzw. nur gemerkelt wird. „Für ein Deutschland in dem wir gut und gerne leben“ (CDU-Wahlkampfspruch 2017).
Commentaires