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„Ich blickte in den Abgrund“

Neuer Intendant Tom Buhrow: WDR droht 2024 ein Minus von 1,3 Mrd. Euro



Frischen Wind braucht die große (öffentlich-rechtliche) Anstalt WDR. Am 29. Mai 2013 wurde Tom Buhrow vom WDR-Rundfunkrat mit einer satten Mehrheit von 41 Stimmen (bei sechs Gegenstimmen) zum neuen Intendanten in Köln gewählt. Damit tritt er die Nachfolge von Monika Piel an – also von der Intendantin, die außer einem Jahresgehalt von 352.000 Euro (inklusive 21.000 Euro für den auch privat genutzten Dienstwagen) auch noch Nebeneinkünfte in Höhe von 58.922 Euro (2012) kassierte, was in Medienkreisen und bei Gebührenzahlern für großes Unverständnis und viel Ärger sorgte. Das Gehalt von Tom Buhrow liegt bei stolzen 367.232 Euro im Jahr. Die Nebeneinkünfte sind auf 6.000 Euro jährlich begrenzt worden.

Tom Buhrow, ein fröhlicher Rheinländer (Jahrgang 1958), wuchs im beschaulichem Troisburg bei Bonn auf. Nach dem Abitur arbeitete er, neben seinem Studium, ab 1978 für Zeitungen in Siegburg und Bonn und machte 1984 an der Bonner Universität sein Magister-Examen in den Fächern Geschichte, Politikwissenschaft und Rheinischer Landeskunde. 1985 ging er zum WDR und absolvierte dort ein Volontariat. Danach war er für das WDR-Fernsehen als Reporter, Moderator und als „Chef vom Dienst“ im Einsatz. Doch sehr schnell merkte Tom Buhrow, dass NRW (das Land der Rheinländer und Westfalen mit den italienischen Staatsfarben Grün-Weiß-Rot) für ihn beruflich viel zu klein war. So ging er 1992 nach Hamburg und arbeitete in der Redaktion ARD-Aktuell. Von 1994 bis 2006 zog es ihn dann in die weite Welt nach Nordamerika (zwischendurch ein kurzer Aufenthalt in Paris von 2000 bis 2002). In Amerika konnte er sich zwischen Florida und Alaska, zwischen Anaheim (Süd-Kalifornien) und Neubraunschweig (Ost-Kanada) als ARD-Korrespondent und Reporter beweisen (und verwirklichen) sowie als Studioleiter in Washington profilieren. Der ganz große Durchbruch im Fernsehen gelang ihm schließlich als Moderator der ARD-TAGESTHEMEN in Hamburg (2006 bis 2013).

Nun ist Tom Buhrow wieder an seine alte Wirkungsstätte beim WDR in Köln, der Karnevalshochburg, zurückgekehrt – als neugewählter Intendant mit jugendlichem Lächeln im Gesicht. Aber jetzt beginnt der große Ernst des Lebens: Der neue Intendant muss eine Herkulesaufgabe stemmen und ging auch gleich mit großem Elan ans Werk. Doch kurz vor seinem Dienstbeginn als Intendant am 1. Juli 2013 kommentierte noch einer seiner Kollegen: „Sie sind in einen Berufsstand eingetreten, der von Medienkritikern als träge, überbezahlt und kreativitätsverhindernd gebrandmarkt wird“. Da mussten beide doch herzhaft lachen. Der stets gutgelaunte Fernseh-Journalist wechselt als Verwaltungsaußenseiter in die Intendantenverantwortung und will dabei nun nicht nur die Zwänge des Apparates sehen, sondern stets auch das große Ganze im Blick behalten. Nach nur 100 Tagen in seiner neuen Aufgabe gesteht Tom Buhrow, dass er sich viel mehr unter Druck gesetzt sah, als er es „in kühnsten Vorstellungen geahnt“ habe. Er „stand unter Schock“ als er die „desaströse Finanzlage“ erfahren habe. „In den Abgrund habe er geblickt“ und sofort verordnet, „den Gürtel enger zu schnallen“. „Wir müssen handeln und das schnell“. Der gesamte WDR steht auf dem Prüfstand und soll nun tiefgreifend umgebaut werden. Auch das Tafelsilber soll verkauft sowie die Filmförderung (3,1 Mio. Euro) eingespart werden. Der WDR hat zudem eine Sammlung von über 600 Kunstwerken aller Art angehäuft, deren Verkauf über 3 Mio. Euro einbringen soll. Schon 2015 sollen statt 60 Mio. Euro ganze 100 Mio. Euro eingespart werden, in den nächsten sechs Jahren sollen zudem 550 Planstellen wegfallen. Verschlankung „von Kopf bis Fuß“ ist also angesagt. Auch die (britische) BBC musste von 2006 bis 2014 insgesamt 2.301 ihrer Planstellen (10%) abbauen.


Der WDR hat 2013 einen Etat von 1,381 Mrd. Euro (Anteil aus Werbung: 2,8 %) und 4.322 Mitarbeiter. Dazu kommen 1.900 sogenannter „fester freier“ Mitarbeiter mit einem Volumen von 112 Mio. Euro (8% des Gesamtetats). Mit 23,9 Mio. Euro ist er an 15 Unternehmen beteiligt. Damit gilt der WDR als zweitgrößter Rundfunkveranstalter Europas. 550 Stellen (12,7 %) einzusparen wird aber nicht reichen und deshalb strebt Tom Buhrow eine Gebührenerhöhung an. „Die ist aber nicht realistisch und darum müssen wir uns aus eigener Kraft reformieren. Reformieren heißt auch sinnvoll schrumpfen, den WDR verschlanken und Budgetkürzungen vornehmen (die GEZ-Gebühr wurde am 1.4.2015 um 50 Cent gesenkt). Sonst wird es Mitarbeiter und Produktion treffen“. Und das will ja auch niemand. „Die Bürger müssen wissen, dass der WDR für weniger Geld nicht immer mehr leisten kann. Wir müssen uns fragen, können wir noch die ganze Produktpalette anbieten“. Allerdings solle „das Produkt WDR nicht beschädigt“ werden. Dennoch droht bis 2024 ein Defizit von 1,3 Milliarden. „Das ist ein gigantischer Abgrund und daher müssen wir gigantisch sparen“. Im Extrem-Fall wohl „bis es quietscht“, wie ein Berliner Bürgermeister einmal trefflich formulierte. „Wir brauchen einen strukturellen Umbau, der WDR muss ein crossmedialer Rundfunk werden“. So sollen die Redaktionen zu größeren Einheiten zusammengelegt werden. Ob diese und andere Maßnahmen allerdings ausreichen werden, bezweifeln Medien-Experten. Die Verluste des WDR betrugen 2012 83,8 Mio. und 2013 47,5 Mio. Euro und die Planstellen vermehrten sich von 2012 zu 2013 um stolze 128 auf 4.322 (plus 1.900 „feste freie“ Stellen). Der Anteil der gesamten Personalkosten stieg von 31,4% (2012) auf 36,9% (2013) und 3.227 Rentner (2013) werden darüber hinaus finanziell versorgt (bis 2024 werden diese Zahlen dramatisch ansteigen). Der WDR muss zudem in den nächsten Jahren in allen Bereichen Neuinvestitionen in gewaltiger Millionenhöhe finanzieren.

Der WDR strahlt 6 Hörfunk-Programme aus, ist am privaten „Radio nrw“ mit 24,9 % beteiligt, sein Anteil am ARD-Fernsehen beträgt 21,4 %, er betreibt ein Drittes Fernseh-Programm und ist an weiteren 8 Sparten-Programmen (u.a. 3sat, Phoenix) mit Beiträgen beteiligt. Zudem finanziert er den ARD-Finanzausgleich mit 27,1 Mio. Euro (45%). Außerdem leistet sich der WDR eine lokale Fernseh-Berichterstattung („Lokalzeit“), die in Deutschland und Europa ihresgleichen sucht. Das mittelgroße Sendegebiet (nur halb so groß wie Bayern) wird an den 5 Werktagen in 11 kleine und kleinste Gebietseinheiten aufgeteilt – jeweils mit Fernsehstudio, Technik, Personal und Fuhrpark. Gesendet werden 5 Minuten Nachrichten (18 Uhr) und ein aktuelles Magazin (19.30 – 20 Uhr). Aus Kostengründen wird seit Juli 2014 am Samstag (19.30 Uhr) nur noch ein Landesmagazin gesendet. Der Etat der „Lokalzeit“ sinkt von 60 auf 53 Mio. Euro; die 11 Studios tauschen untereinander Beiträge aus und aus den Archiven sollen Beiträge aus den letzten 30 Jahren gesendet werden. Auf diese Weise werden 500 Euro je Drei-Minuten-Beitrag eingespart. Und beim Vergleich WDR (mit 17,9 Mio. Einwohnern) mit England (14 Regionalgebiete der BBC mit 51 Mio. Einwohnern) sind die englischen Gebietseinheiten dreimal so groß und haben mehr als doppelt so viele Einwohner (1,6 Mio. im Vergleich zu 3,6 Mio.). Es rächt sich nun, dass die WDR-Führung zwischen 1991 und 2007 die Anzahl der „WDR-Sendegebiete“ von 5 auf 11 ausgedehnt hat (halbe Landkreise wechseln öfters das „Sendegebiet“) und so sind auch in diesem Bereich die Kosten explodiert. Regionale Radio-Programme wären sehr viel preiswerter – diese werden aber nicht angeboten (warum eigentlich nicht?). Die Rechnungen wurden aber stets an die Bürger „weitergereicht“ (in Form von GEZ-Gebührenerhöhungen).

Dem WDR (der gesamten ARD und dem ZDF) wurde schon immer nachgesagt, er sei eine aufgeblähte und kostenträchtige Behörde, die auch noch Programme ausstrahle. Eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, spricht Klartext: „Es muss nun endlich mal an den Strukturen“ und damit an der Verwaltung und den Gehältern gespart werden. „Der Intendant verdient im Jahr 367.000 Euro, fünf Direktoren über je 200.000 Euro und 169 Mitarbeiter in der höchsten Tarifstufe 8.900 Euro pro Monat. Diese Planstellen kann man um 50 Prozent reduzieren“. Ja, so könnte wirkliches Sparen aussehen. Nur einmal zum Vergleich: Seit März 2015 belaufen sich die Jahresgehälter der Bundeskanzlerin auf 270.396 Euro und des Bundespräsidenten auf 225.636 Euro. Aber seit 2008 wurden aus der WDR-Führungsetage ständig neue Sparrunden ausgerufen. 2009 wurde sogar ein „ambitioniertes Sparkonzept“ (!) angekündigt – geändert hat sich aber wenig. Im Gegenteil, der neue Intendant erhält 15.000 Euro mehr im Jahr, der Apparat wuchs 2013 um 128 Planstellen in die Höhe, dafür ist die Stimmung bei einigen Mitarbeiter am Tiefpunkt angelangt. Dem WDR laufen im Eiltempo die Kosten davon, im Fernsehen rennt er der Einschaltquote hinterher. Der neue Intendant Tom Buhrow muss nun wirklich zeigen, dass er eine Herkulesaufgabe meistern und strukturelle Probleme lösen kann. Ansonsten könnte beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in NRW und in ganz Deutschland der akute Herzinfarkt (Finanzierungs- und Legitimationsprobleme) eintreten – und das mit großem Schaden für die Gesellschaft und die Demokratie.
























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