Illustration Simon Neufeld
Pressekonferenz des Caritasverbandes zur Jahreskampagne 2018
Die Suche nach einer Wohnung gestaltet sich für immer mehr Menschen als nahezu aussichtsloses Unterfangen. In vielen Großstädten und Ballungszentren ist es kaum möglich, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Knapper Wohnraum und steigende Mieten treffen mittlerweile nicht nur Menschen mit geringem Einkommen. Auch Menschen aus der Mittelschicht, die als Pfleger, Polizist, Krankenschwester oder Erzieherin arbeiten, spüren ebenfalls, dass bezahlbarer Wohnraum Mangelware geworden ist. Das Problem hat die Mitte der Gesellschaft erreicht.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Nicht nur, dass die Bevölkerung in den vergangenen Jahren durch den Zuzug von EU-Bürger/innen und Flüchtlingen stärker gewachsen ist als angenommen, auch die Lebensgewohnheiten haben sich verändert. Während früher in vielen Haushalten mehr als drei Personen lebten, ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Ein und Zweipersonenhaushalte deutlich gestiegen. Ein wesentlicher Grund aber für den Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist der Verlust sozial gebundener Wohnungen. So hat die Aufhebung der Wohnungsgemeinnützigkeit Anfang der 1990er Jahre dazu geführt, dass mehr als zwei Millionen Wohnungen vor allem aus kommunalem Eigentum, Betriebswohnungen sowie Bundes- und Landesimmobilien verkauft wurden. Gab es im Jahr 1987 noch 3,9 Mio. Sozialwohnungen in Deutschland, waren es 2015 nur noch 1,3 Mio. Wohnungen. Jedes Jahr fallen weitere 40.000 bis 60.000 Wohnungen aus der Sozialbindung.
Seit Jahren werden zudem zu wenig bezahlbare Wohnungen gebaut, vor allem im Bereich unterer Einkommensgruppen und für Familien. 2016 wurden 278.000 Baufertigstellungen gezählt, überwiegend im Eigenheim- und gehobenen Preissegment. Dabei liegt der Bedarf an Neubauten bei jährlich 350.000 bis 400.000 Wohnungen. Auch im geförderten Wohnungsbau herrscht Mangel. 2016 wurden 24.550 Sozialwohnungen gebaut, benötigt würden aber 80.000. Nicht nur der Mangel an bezahlbarem Bauland schränkt die Bautätigkeit im Bereich bezahlbaren Wohnens ein. Auch die Veränderungen auf den Kapitalmärkten haben dazu geführt, dass Immobilien als attraktive Renditeobjekte an Bedeutung gewonnen haben. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass in Deutschland zu wenige und zu teure Wohnungen gebaut werden.
Wohnungsmangel aber greift tief in das Leben der Menschen ein. Einer Wohnung kommt eine große Bedeutung zu: sie ist Rückzugsort und privater Lebensmittelpunkt. Eine Wohnung schützt die Intimsphäre ihrer Bewohner, sie bietet Geborgenheit und Sicherheit. Nicht zuletzt ist sie eine wichtige Voraussetzung für soziale Teilhabe: Kinder spielen hier mit ihren Freunden, Verwandte und Freunde werden eingeladen und bewirtet. Sowohl in der Europäischen Sozialcharta als auch in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wird von einem (Menschen-) Recht auf Wohnen gesprochen.
Wohnungsnot ist zu einer sozialen Wirklichkeit geworden, die gesellschaftspolitisches Konfliktpotenzial birgt. Immer mehr Menschen machen die Erfahrung, dass sie nahezu chancenlos auf dem Wohnungsmarkt sind. Oder sie haben damit umzugehen, dass mehr als ein Drittel ihres Einkommens für Miete und Wohnkosten verwendet werden müssen. Dies bedeutet nicht nur soziale Härte und Frustration für den Einzelnen. Es geht um mehr: Wenn durch die Aufwertung eines Stadtteils einkommensschwächere Bevölkerungsgruppen verdrängt werden, wirkt sich dies nicht nur auf die Lebensqualität der Menschen aus, sondern auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Zusammenhalt kann nämlich da entstehen, wo Menschen aus unterschiedlichen Milieus, Kulturen, Nationen und Einkommensschichten sich selbstverständlich im Alltag begegnen. Wenn die Zusammensetzung von Quartieren aber zunehmend durch den Geldbeutel bestimmt wird, führt dies zu einem Auseinanderdriften von Milieus und schwächt so den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Auch über ihre Wohnungsunternehmen haben die Kommunen eine unmittelbare Steuerungsmöglichkeit, um günstigen Wohnraum zu erhalten und zu schaffen. Das Ziel kommunaler Wohnungsgesellschaften sollte daher nicht größtmöglicher Gewinn sein, um die kommunalen Haushalte auszugleichen. Das Ziel sollte es sein, günstigen Wohnraum auch für Bevölkerungsgruppen mit geringem Einkommen zu ermöglichen. Denn genau damit ist auch ein gutes Zusammenleben im Quartier zu fördern. Wohnungspolitik ist immer auch Sozialpolitik. Ab 2020 liegt die gesetzliche Verantwortung für die Förderung des sozialen Wohnungsbaus bei den Bundesländern. Ihnen kommt daher bei der Wohnraumversorgung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen eine zentrale Rolle zu. Angesichts auslaufender Sozialbindungen ist es unbedingt erforderlich, die soziale Wohnraumförderung deutlich auszuweiten und langfristig zu finanzieren.
In Vorbereitung auf die Kampagne „Jeder Mensch braucht ein Zuhause“ hat uns interessiert, wie die Gesellschaft das Problem des mangelnden Wohnraums wahrnimmt und welche Lösungsmöglichkeiten Unterstützung finden würden. Das Beratungsinstitut IPSOS hat in unserem Auftrag eine repräsentative Befragung durchgeführt. Die Studie zeigt deutlich: Bezahlbares Wohnen gehört neben Pflege, Kinderarmut und Alterssicherung zu den drängendsten politischen Themen. Drei Viertel aller Befragten ist es äußerst oder sehr wichtig, dass das Menschenrecht auf eine Wohnung gewährleistet ist. Als gravierende Folgen hoher Wohnkosten werden von mehr als drei Viertel der Befragten ein erhebliches Armutsrisiko, Beeinträchtigung der Entwicklungschancen von Kindern, die räumliche Trennung von Arm und Reich und die Gefahr gesehen, wohnungslos zu werden. Bei der Frage, welche Maßnahmen die Politik ergreifen soll, um bezahlbares Wohnen zu ermöglichen, finden die Förderung des sozialen Wohnungsbaus (84%), die Bereitstellung preiswerter Wohnungen für benachteiligte Personen (80%) und die Förderung von Wohnungsgenossenschaften (80%) eine deutliche Zustimmung.
Prälat Dr. Peter Neher Präsident des Deutschen Caritasverbandes Berlin, 10. Januar 2018
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