Eine kleine ARD-Hörfunk-Reform
- Hans-Jürgen Kupka
- 3. Juli
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 4. Juli

Stell dir vor, die ARD kündigt in einer trockenen Pressemeldung (26.6.2025) die Reduzierung von Landes-Hörfunkprogrammen an und die ör Nutzer und Beitragszahler bekommen es gar nicht mit. Danach sollen bis zum 1. Januar 2027 (!) nach Vorgaben des Reformstaatsvertrags mindestens 16 (von 70 und mehr) terrestrisch ausgestrahlte Sender entweder durch Streichung oder durch Kooperationen in eng begrenztem und definiertem Rahmen reduziert werden. Bei dieser Vorgabe aus der Politik ist klar, dass in jedem Fall Mehrfach-Programme wegfallen werden.
Welche Angebote sind konkret betroffen? Nach einer DPA-Befragung bei den Landesrundfunkanstalten (LRA) sieht es wie folgt aus: Beim WDR bleibt das „Maus-Radio“ bestehen, allerdings nur online. Der Digitalkanal WDR Event soll entfallen. Die Profile von 1Live, 1Live Diggi und Cosmo sollen, wie es heißt, „geschärft“ und aufeinander abgestimmt werden. Beim SWR laufen DasDing, You FM vom HR und Unserding vom SR künftig gemeinsam unter dem Kneipen-Slogan „gemeinsam geiler“ (!). Wer hat sich den Spruch ausgedacht – ein ehem. PR-Mitarbeiter vom Privatfunk? Die Nachrichtenwellen SWR Aktuell und HR Info sollen zusammenarbeiten - was aber schon der Fall ist. Zudem ist eine Kooperation mit dem deutsch-französischen Infokanal Antenne Saar geplant.
Der NDR streicht die Digitalangebote NDR Info Spezial (Übernahme aus anderen Prog.), NDR Schlager und NDR Blue. Der MDR verbreitet die Angebote MDR Klassik, MDR Schlagerwelt und MDR Tweens von 2027 nicht mehr terrestrisch. „Inhalte“ der Wellen soll es aber weiterhin geben. Beim RBB ändert sich (noch) nichts. Bei Radio Bremen bleiben alle vier Radiowellen bestehen. Der BR aus München hat in Sachen „Radioreform“ (noch) nichts vorzuweisen. In der ARD-Audiothek soll es nach dem Willen der LRA künftig Formate geben, die bislang fürs lineare Radio produziert wurden.
Bereits seit dem 2. Juni 2025 bieten die reichweitenstarken Landesprogramme und Oldie-Formate der ARD ein gemeinsames Abendprogramm an. MDR und SWR stellen den anderen LRA in der ARD-Abendsendungen mit verschiedenen Musikfarben zur Verfügung, von Country bis Soul, von Mainstream bis Rock. Auch die ARD-Hitnacht bekommt ein musikalisches Update und wird nun bundesweit ausgestrahlt. Regionale Nachrichten bleiben aber erhalten.
So wird von 20:00 bis 23:00 Uhr täglich eine live-moderierte Musiksendung mit dem Titel "Der ARD Abend – Radio für alle" geben, produziert vom MDR. Die Hörer erwartet oldiebasierte Musik. Wöchentlich rotierend wird die Sendung von einem der drei Landesfunkhäuser des MDR aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen produziert. Dabei ist die Regionalität auch künftig gewährleistet, da die übernehmenden Radiosender zur vollen Stunde die Nachrichten und das Wetter individuell regional bespielen und auch auf aktuelle Nachrichtenlagen spontan reagieren können. Zum Start werden die Landessender des NDR (NDR 1 Niedersachsen, NDR 1 Radio MV, NDR 1 Welle Nord), WDR 4 sowie Antenne Brandenburg vom RBB das neue Angebot übernehmen.
SWR1 Baden-Württemberg und SWR1 Rheinland-Pfalz bieten ebenfalls seit dem 2.6.2025 eine gemeinsame Sendestrecke für die ARD-Landessender an. Von Montag bis Sonntag, jeweils von 20:00 Uhr bis 23:00 Uhr, widmet sich jeder Abend von Montag bis Sonntag einem eigenen musikalischen Stil: 80er, Deutsch, Country, Rock, 90er, Party und Soul. Übernommen wird die Sendestrecke von Bremen Eins, hr1, SR 3, SWR1 Baden-Württemberg und SWR1 Rheinland-Pfalz. Auch hier bleibt die Regionalität gewahrt, da die übernehmenden Programme die Nachrichten und das Wetter individuell bespielen. Um auf aktuelle Nachrichtenlagen spontan reagieren zu können, werden die Moderatorinnen und Moderatoren des Angebots immer auch durch Redakteure bzw. Redakteurinnen unterstützt. Die einzelnen Sendungen gibt es zum Nachhören in der ARD Audiothek.
Das seit 2021 bestehende Nacht-Angebot der drei MDR-Landesfunkhäuser, die "ARD-Hitnacht", wird seit Anfang 2025 zusätzlich von SWR1, hr1 und Bremen Eins genutzt. Seit Mai übernimmt auch der BR mit Bayern 1 das Angebot, wodurch die Hitnacht nun bundesweit verbreitet wird. Anfang des Jahres wurde das Musikangebot in der ARD-Hitnacht an die Bedürfnisse der Hörer aller nehmenden Landesprogramme angepasst. Ziel ist es, auch jüngeren Hörerinnen und Hörern ein Angebot zu machen. Die ARD-Hitnacht bietet von 23:00 bis 6:00 Uhr morgens Musik, Nachrichten und aktuelle Wetter- und Verkehrsservice. Dabei wechseln sich MDR Thüringen, MDR Sachsen-Anhalt und MDR Sachsen wochenweise ab (ist das sinnvoll?).
Die Audioprogrammkonferenz der ARD (APK) unter der Leitung von Radio Bremen/RB hat die Reformen realisiert. Jan Weyrauch, RB-Programmdirektor: "Prämisse aller Überlegungen war, das zu erhalten, was die ARD-Hörfunkwellen erfolgreich und besonders macht: Die enge Verbundenheit mit und regionale Nähe zu den Hörerinnen und Hörern. Dies gilt für die Info- und Kulturwellen genauso wie für die Popularwellen der ARD. Jeden Tag erreichen sie knapp 33 Millionen Hörerinnen und Hörer und versorgen sie mit exzellenten Informationen und guter Unterhaltung im besten öffentlich-rechtlichen Sinne. Sie bilden das Rückgrat für die tiefe Verankerung der ARD in der Bevölkerung."
Für das weitere Vorgehen bedarf es nun eines Schulterschlusses zwischen den Sendern, den Gremien und den Ländern als Trägern der LRA, da es keine ARD-weite Beauftragung für Radioangebote gibt und die Zuständigkeit in den Ländern liegt. Maßgeblich sind die durch die Bundesländer bis zum 1. Januar 2027 durchzuführenden Anpassungen des jeweiligen gesetzlichen Auftrags. Sie sind nicht verpflichtet, die maximal mögliche Anzahl an Hörfunkwellen zu beauftragen.
Wie ist diese ARD-Hörfunk-Reform nun zu bewerten? Um es deutlich zu sagen, ein großer Wurf ist es nicht. Was sich die Kommissionen in unzähligen Sitzungen erarbeitet haben, hat den Charakter einer kleinteiligen Reform. Zu den einzelnen Projekten haben sich einige LRA zusammengefunden oder auch nicht. In Zeiten wie diesen, mit großer Konkurrenz auf allen Plattformen, haben die ÖRR-Verantwortlichen noch immer zu keiner gemeinsamen Strategie gefunden. So wie die neuen Angebote für die Abend-Hörer daherkommen, kann von einem übersichtlichen und differenzierten ör Angebot keine Rede sein. Weniger wäre mehr gewesen. Wenige, aber klar strukturierte ARD-Programme für ganz Deutschland. Die anvisierten Hörer hätten sich einfacher orientieren können, es wäre preiswerter und jeder LRA-Mitarbeiter hätte die Abendprogramme im Schlaf aufsagen können. Die föderale ARD hat mal wieder eine Chance für ihre eigene Zukunft verspielt. Und dann ist es auch kein Wunder, dass der ARD-Vorsitzende Florian Hager aus Frankfurt das übliche ARD-Pressegespräch zum Meinungsaustausch nach einer ARD-Tagung abgesagt hat.
Ergänzung am 4.7.2025:
Der BR in München wird sein HF-Angebot reduzieren: So werden BR24 live, BR Verkehr, BR Puls Radio und BR Schlager ab 2027 nicht mehr als lineare Programme angeboten. "Bei der Flotten-Strategie hat sich der BR daran orientiert, in den Feldern Information, Regionalität und Kultur Prioritäten zu setzen", sagte eine Sprecherin zu DWDL.de. "Das Puls Radio wiederum war einst als Radio-Angebot für Jüngere gestartet, verzichtet aber schon seit geraumer Zeit auf Live-Moderationen. Nun heißt es, BR Puls werde seine Angebote "im Einklang mit den Nutzungsbedürfnissen seiner Zielgruppe künftig vollständig digital" ausrichten". Für das Aus von BR Schlager habe man sich indes in Abwägung für die Weitersendung von BR Heimat entschieden. Dies stehe "im Einklang mit dem programmstrategischen Ziel eines einzigartigen bayerischen Angebots", heißt es. Schlager-Fans sollen hingegen künftig ein neues digitales Angebot in der ARD-Audiothek erhalten, an dessen Überlegungen zum Aufbau sich der BR erklärtermaßen beteiligen will. Unberührt bleibt auch BR Klassik, hier wird jedoch auch über die Zulieferung von Sendestrecken innerhalb der ARD gesprochen. Erste Gespräche mit dem MDR hätten diesbezüglich stattgefunden - mit dem Ziel, "Synergien zu nutzen und Kosten zu senken".
Comments