Ulrich Wilhelm – Foto BR
ARD-Vorsitzender Wilhelm: Die ARD muss sich der Kritik stellen und verändern
In einem Gastbeitrag für den Berliner Tagesspiegel (5.8.2018) hat der ARD-Vorsitzende und Intendant des Bayerischen Rundfunks, Ulrich Wilhelm, Veränderungen für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) angemahnt. Doch, welche – grundsätzlichen – Änderungen sind geplant und wie lange müssen die Bürger auf sie warten? In vielen Ländern Europas wird seit Jahren kontrovers über den ÖRR diskutiert – sachlich fundiert, aber auch polemisch. „Als ARD geht es uns um den Erhalt gesellschaftlicher Relevanz, nicht um Besitzstandswahrung oder wie in den 1990er Jahren um ein Ausweiten des Programmangebots. Und wir werden im digitalen Wandel besonders innovativ sein und unsere Strukturen und Angebote immer wieder anpassen müssen“, so Wilhelm wörtlich. Kritiker und Gegner des ÖRR argumentieren, die ARD möge bei Medienangeboten doch allein den Kräften des Marktes vertrauen und den Nutzern die Auswahl unter den täglich wachsenden Bezahlangeboten von Video-Plattformen überlassen. Aber so Wilhelm, „öffentliche Güter lassen sich nicht nach rein ökonomischen Kriterien bemessen. Diese öffentlich-rechtlichen Angebote stehen allen Menschen barrierefrei, unabhängig von ihrem Einkommen zur Verfügung – und zwar in einem solidarisch finanzierten Modell“. Und weiter, „Pay-Modelle und Marktlösungen können für die unterschiedlichsten Interessen in unserer Gesellschaft kein für alle bezahlbares Angebot in dieser Vielfalt und Qualität liefern, wie ARD und ZDF es tun – mit umfassenden Nachrichten- und Informationsangeboten, dem weltweiten Korrespondentennetz, hochwertigen Hör- und Fernsehspielen, den Klassikprogrammen sowie Spitzenorchestern und -chören, den Kultur- und Bildungssendungen, den Unterhaltungs- und Sportangeboten, dem Programm des Kinderkanals KiKA oder Arte, um nur einige Beispiele zu nennen“. Dazu kommt noch das junge Online-Angebot „Funk“.
Soweit so gut. Aber, wie sieht die Realität in den 19 Fernseh- und 76 Hörfunkprogrammen von ARD und ZDF aus? Nicht nur Bürger und Politiker, sondern auch Medienexperten und sogar Rundfunk-Mitarbeiter kritisieren eine ausweitende Verflachung in vielen Programmen bei ARD und ZDF. Die 11 populären (Tages-) Programme (Das Erste, ZDF, 7 Dritte, Neo und One) haben in den letzten Jahren systematisch ihre Unterhaltungsangebote ausgebaut und die Bereiche Politik, Alltagsleben, Bildung und Kultur auf ein öffentlich-rechtliches Alibi-Angebot reduziert. Eine Flut von (seichten) Boulevard-Sendungen, Quizshows, Info- u. Kochshows, Zoo-Dokus, seichten Filmen, Heimat-Krimis und Krimi-Serien wabern durch die Kanäle. Ja, eine gigantische Krimiflut. So wurden am 1. Mai 2018 in 12 von 19 ÖRR-Programmen 23 Krimis und am 15. Juli 2018 in 8 von 19 ÖRR-FS-Programmen 35 Krimis ausgestrahlt. Und diese Serien werden zum großen Teil im Ausland produziert – da viel preiswerter. Zum Nachteil der deutschen Filmwirtschaft. Was ARD und ZDF massive Kritik von allen Berufsgruppen vor und hinter den Kameras einbrachte.
Und warum Herr Wilhelm, wird der „Bericht aus Berlin“ nicht im Anschluß an den sonntäglichen TATORT gesendet, wo er ein großes Millionen-Publikum erreichen könnte. Stattdessen fristet die Sendung mit 18 Minuten um 18.30 Uhr ein Schattendasein. Was Zuschauer und ARD-Mitarbeiter verärgert. Das gilt auch für das Kultur-Magazin „ttt“, welches erst nach 23 Uhr ausgetrahlt wird – mit wenigen Zuschauern. Für das ZDF gelten die gleichen Kritikpunkte. Und wann wird es im 1.Programm eine seriöse politische Diskussions-Sendung, mit Politiker, Bürgern und Journalisten, geben? Und wieso Herr Wilhelm, müssen die Bürger 76 ARD-Radio-Programme finanzieren. Einzelne Genres werden zwischen Hamburg und München, Saarbrücken und Berlin täglich bis zu elf Mal produziert – mit den gleichen Inhalten. Pro Bundesland würde auch ein Infor.- u. Unterhaltungs-Programm genügen. Dazu kommen 10 Genre-Programme: Aktuelles, Kultur, Pop, Rock bis Kinderkanal – mit zeitlichen Auseinanderschaltungen zu bestimmten Zeiten, sodass die regionale Vielfalt erhalten bliebe. Produziert würden diese Programme von den 9 Landesrundfunk-Anstalten im Wechsel. Und im Übrigen, schon im Jahr 1928 haben die 9 (regionalen) Rundfunkgesellschaften Deutschlands aus jeweils anderen Funkhäusern Sendungen direkt für ihr Programm übernommen. Das sollte auch im Internetzeitalter möglich sein und würde einige Hundert-Millionen Euro einsparen.
Die 16 Ministerpräsidenten der Länder haben die Sparvorschläge von ARD & ZDF schon im Jahr 2017 als unzureichend bezeichnet. Denn ARD & ZDF wollen jährlich nur 153 Mio. € Sparen. Eindeutig zu wenig. Natürlich braucht die deutsche Kultur-Nation einen qualitativ-guten ÖRR mit Angeboten aus Information, Bildung, Kultur und auch Unterhaltung. Und je nach Umfrage plädieren 54 bis 83 Prozent der Bürger pro ÖRR. Aber, nur 48% sind mit dessen Angeboten auch zufrieden. Und bei Ausgaben von über 9 Mrd. Euro jährlich, sind Strukturreformen nötiger denn je. Zum Vergleich: Die öffentliche BBC in London kommt mit rd. 5,5 Mrd. Euro im Jahr aus und deren Programme haben Weltqualität.
Ja, es ist richtig. „Grundversorgung heißt nicht Mindestversorgung, das hat auch das Bundesverfassungsgericht immer wieder betont. Aus gutem Grund: Es kann nicht im gesellschaftlichen Interesse liegen, dass sich ARD, ZDF und Deutschlandradio darauf beschränken müssen, die Lücken und Nischen zu füllen, die kommerzielle Anbieter nicht abdecken, weil sie damit kein Geld verdienen können“ so Wilhelm. Und weiter, „die ARD ist derzeit exakt so groß, wie sie vom Gesetzgeber beauftragt wurde. Unsere Aufgabe besteht darin, das ganze Bild, das gesamte Spektrum der Themen und Meinungen im Land zu zeigen“. Aber, braucht der ÖRR dafür insgesamt 95 Programme und ein Volumen von über 9 Mrd. Euro jährlich? Hier ein klares Nein, und die Anzahl der ÖRR-Programme (95) ist weder gerichtlich, noch politisch festgelegt worden. Dazu Ulrich Wilhelm: „Wir wollen 750 Millionen Euro mehr im Jahr oder die Programme werden massiv reduziert“. Und das, obwohl die KEF-Rechnungsprüfer am 19. Februar 2018 ARD und ZDF einen Überschuss von 544,5 Mio. Euro bis 2020 bescheinigt haben. Das hat nichts mehr mit dem Sendeauftrag des ÖRR zu tun. Und dann wundern sich die Verantwortlichen in der Politik und beim Rundfunk, dass 43% der Bürger keinen Rundfunk-Beitrag mehr zahlen möchten und 49% einen Beitrag zwischen 1 und 5 Euro für gerecht halten.
„Ja, die ARD muss sich verändern. Neue Inhalte, mehr Publikumsdialog, auch Selbstkritik, weiteres Sparen – all das nehmen wir in Angriff. Fakt ist: Die Akzeptanz unseres Angebots ist unverändert hoch“, so Ulrich Wilhelm. Und die Realität in puncto Akzeptanz sieht wie aus: Das Durchschnittsalter von ARD (DAS ERSTE) und ZDF pendelt verlässlich zwischen 63 und 66 Jahren. Die Marktanteile lagen 2017 in der Altersgrupppe 14 bis 49 Jahren bei 6,6 bzw. 6,1 Prozent (bei den unter 30-Jährigen noch darunter) – und das ist fast die halbe Bevölkerung in Deutschland. Bei den Zuschauern ab 50 Jahren erzielte die ARD gute 14,1 und das ZDF stolze 17,1 Prozent. Ja, ARD und ZDF müssen ihre Hausaufgaben umfassend und nachhaltig anpacken, wollen sie eine sichere Zukunft haben und von der Bürgergesellschaft akzeptiert werden.
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