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Das Thema muss vom Schreibtisch – Ministerpräsidenten fast einig bei Index-Rundfunkbeitrag


RADIO BREMEN – Senderegie „buten un binnen“  © Radio Bremen/Frank Pusch


Seit 2016 ist den 16 Landesregierungen bekannt, was 2021 passiert, wenn sie das Thema Rundfunkbeitrag nicht nachhaltig lösen werden. Und seit drei Jahren starren die „Ministerpräsidenten der Länder wie die Kaninchen auf die Schlange auf just den Tag“ (SZ), an dem sie eine Entscheidung treffen und den Rundfunkbeitrag von derzeit 17,50 Euro erhöhen müssen, weil der Ruf von ARD und ZDF nach mehr Geld nicht verstummen will (aktuell sind es insgesamt 9,7 Mrd. €/Jahr – gefordert werden zusätzlich 3 Mrd. Euro für vier Jahre). Oder die Politiker legen konkrete Sparpläne auf den Tisch und modernisieren und konkretisieren den öffentlich-rechtlichen Sendeauftrag. Und die Sendeanstalten nehmen die Sparkonzepte an und setzen sie um. Doch die Politiker haben keinen Mut und die Intendanten stellen sich stur.

Auf ihrer Quartalskonferenz am 6. Juni haben die Ministerpräsidenten zur künftigen Ausgestaltung und Finanzierung des ÖRR die Papiere auf dem Konferenztisch hin und her geschoben und dann doch keine vollständige Einigung erzielt. Der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), sagte nach dem Treffen in Berlin, es laufe nach dem „überwiegenden Gesprächsstand“ in Sachen Rundfunkbeitrag auf ein Index-Modell hinaus. Diesem zufolge würde der Beitrag nach einem bestimmten Maßstab – wie dem Inflationsausgleich oder einer „medienspezifischen Teuerungsrate“ steigen. Wie sich der Rundfunkbeitrag genau entwickeln solle, sei aber noch Gegenstand der Beratungen. Im Grundsatz sei man sich einig, doch seien die Modalitäten „nicht abschließend entschieden“. Beschlossen haben die Ministerpräsidenten indes, dass der Rundfunkbeitrag für Zweitwohnungen abgeschafft wird. Sie folgen damit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom vergangenen Jahr.

Vorbehalte gegen ein Index-Modell hatte die FDP angemeldet, die in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen an den Landesregierungen beteiligt ist und in ihrem Programm zur letzten Bundestagswahl eine „Neudefinition des Auftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, verbunden mit einer Verschlankung“, gefordert hatte. Denn muss der ÖRR in der Gegenwart noch 19 FS- und 78 Radio-Programme ausstrahlen – plus über 80 Web-Channels? Über eine Strukturreform des ÖRR wird seit Jahren ohne erkennbaren Fortschritt debattiert. In Rede steht zurzeit, dass ARD und ZDF nur zu den Haupt- und einigen Spartenprogrammen den konkreten gesetzlichen Auftrag erhalten, ansonsten in der Komposition ihrer Kanäle aber freier sind als bislang, was ihnen auch mehr Flexibilität im Umgang mit den Etats gäbe.

Bereits am 21. März hatten die Länderchefs den Sendeanstalten ins Gewissen geredet. So sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), die auch Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder ist: „Aus Ländersicht ist und bleibt es wichtig, dass diese Anmeldungen moderate Bedarfsanmeldungen sind, weil sie die Grundlage für das künftige Finanzierungsmodell darstellen sollen“. Sie mahnte ARD und ZDF zu mehr Sparsamkeit. Die Sparvorschläge der Anstalten vom September 2017 seien für die Ministerpräsidenten nicht ausreichend. Es gebe noch Spielräume etwa bei Produktionskosten und der Verwaltung. Aktuell will der ÖRR nur 153 Mio. Euro pro Jahr sparen – bei Finanzen von 9,7 Mrd. Euro. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) forderte ebenfalls weitere Einsparungen. „Die von den ör Rundfunkanstalten vorgelegten Einsparvorschläge erfüllen noch nicht die Erwartungen“.

Nun aber rennt den Ministerpräsidenten die Zeit davon. Im Herbst finden im Osten drei Landtagswahlen statt und die Umfragen sehen die AfD in allen drei Ländern bei mindestens 20 Prozent (Brandenburg, Thüringen), in Sachsen sogar bei 25 Prozent. Das ist für die Rundfunkpolitik deswegen ein Grund zur Sorge, weil die AfD bekanntermaßen gegen ARD und ZDF polemisiert. Im Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2017 nannte die rechte Partei den ÖRR „zu teuer“ und „von der Politik dominiert“. Im Wahlprogramm für Sachsen steht als Forderung, dass der Rundfunkbeitrag abgeschafft und der Rundfunkstaatsvertrag gekündigt werden solle, um einen „freien Wettbewerb“ unter den Anbietern zu ermöglichen.

In Deutschland könnte die AfD das ÖRR-System lahmlegen, wenn sie an einer Landesregierung (z.B. in Sachsen) beteiligt wird. Denn laut Rundfunkstaatsvertrag braucht es Einstimmigkeit, um die Rundfunkgebühr einstimmig festzusetzen. Das Veto eines Bundeslands würde reichen und die Sendeanstalten würden nicht mehr Geld erhalten. Das Resultat wäre, ARD und ZDF müssten Spar-Reformen in allen Bereichen realisieren. Dieses Szenario verleit einer Reform großen Schub, die aber ehrlich betrachtet, seit Jahren überfällig ist. Bisher setzen die Länderchefs die Höhe der Gebühr alle vier Jahre fest, nach einer Empfehlung der „Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten“ (KEF), die wiederum die Budgetpläne der 12 Sendeanstalten durchleuchtet. Dabei wollen die Länder verhindern, dass der Beitrag allzu sehr ansteigt und die Sendeanstalten wollen ihr gesamtes System mit Organisation und Programm nicht grundsätzlich ändern.

Die Einführung eines Indexmodells hätte für die Politik und den Rundfunk einige Vorteile und würde den Rundfunkbeitrag entpolitisieren. Die Ministerpräsidenten hätten, ein für sie leidiges Thema vom Tisch und müssten den Bürgern nicht alle vier Jahre unliebsame Gebührenerhöhungen vermitteln und die Sendeanstalten würden mehr Planungssicherheit bekommen. Allerdings setzt hier auch die Kritik an. Denn eigentlich soll die Entscheidung, wie viel Geld für den ÖRR ausgegeben wird und welche Gebühr für den Bürger noch zumutbar ist, dass Ergebnis eines demokratischen Prozesses sein und nicht ein Automatismus ohne parlamentarische Kontrolle. Wonach sich die automatische Steigung bemisst, ist noch unklar. Schon jetzt nimmt die KEF bei ihren Empfehlungen die spezielle Teuerungsrate in allen unterschiedlichen Bereichen des Rundfunks in den Blick.

Auch der KEF-Vorsitzende Heinz Fischer-Heidlberger hält das Index-Modell für problematisch. Bei einer Indexierung stünde der Beitrag in keiner Beziehung zum tatsächlichen Finanzbedarf der Anstalten. Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ (19.3.2019) sagte er, die Kommission halte einen automatischen Beitrags-Anstieg für problematisch. Das bisherige Modell sei „keinesfalls in der Krise“ und „auch bei einer Indexierung muss – wie auch immer – sichergestellt werden, dass Wirtschaftlichkeitspotenziale ausgeschöpft werden.“ Wie ein Kurz-Gutachten von Thomas Hirschle (er war lange Präsident der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg und Mitglied der KEF) gezeigt hat, ist ein Voll-Indexierungs-Modell für eine sichere Finanzierung des ÖRR ungeeignet. Hirschle sieht die Gefahr einer „unkontrollierte Flexibilität der Anstalten“ und schlussfolgert: Das alles wäre weder verfassungs- noch europarechtlich zulässig.

Der Vorsitzende des Privatsenderverbands Vaunet, Hans Demmel, hält es für „gut und richtig“, dass sich die Ministerpräsidenten mit der Entscheidung Zeit nehmen. Sie sollten „die Entwicklungsperspektive des gesamten Marktes berücksichtigen“; es gelte, das Profil der Öffentlich-Rechtlichen zu schärfen, „indem sie sich klarer von den Angeboten der privaten Sender unterscheiden und schwerpunktmäßig mit 75 Prozent ihres Budgets auf die Bereiche Information, Kultur und Bildung konzentrieren“. Diese sollten zur besten Sendezeit, nicht zu Randzeiten oder auf Spartenkanälen laufen. Die Budgets sollten „so präzise wie möglich festgelegt“, die externe Kontrolle der Finanzkommission KEF solle erhalten werden. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner sagte, die Indexierung des Rundfunkbeitrags sei nicht die richtige Lösung, um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu sichern. Mit ihrer Unfähigkeit zu entscheiden, riskierten die Ministerpräsidenten dessen Zukunft. Der Rundfunkbeitrag müsse dem Rundfunkauftrag folgen, nicht umgekehrt.

Es zeigt sich wider einmal, dass die verantwortlichen Politiker keinem Mut aufbringen können, wenn es darum geht, in gesellschaftspolitischen Bereichen Reformen durchzuführen. Obwohl den Politikern das Thema Rundfunkgebühr seit Jahren auf den Nägeln brennt, bekommen sie es nicht gelöst und schieben es unverantwortlich vor sich her. Und sollte die AfD an einer Landesregierung beteiligt werden, waren alle „Verschiebe-Aktionen“ umsonst. Dann wäre die Medienpolitik endgültig in der Sackgasse angekommen. Zum Nachteil des ÖRR, der Bürger und der Demokratie. Das jetzige Finanzierungssystem sollte daher beibehalten werden. Die Sendeanstalten melden ihren finanziellen Bedarf an, die KEF in Mainz überprüft die Rundfunkfinanzen und spricht eine Empfehlung bezüglich der Höhe der Rundfunkgebühr aus. In einer funktionierende Demokratie ist es nun mal die Aufgabe von Politikern Entscheidungen zu treffen – sind sie auch noch so unbequem. Wobei die 16 Landesparlamente ihre Kontrollfunktion zu erfüllen haben. Unabhängig von der Rundfunkgebühr, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk aber reformiert werden. Und die Gebühr könnte, wie in anderen Demokratien, durch eine (Landes-) Steuer ersetzt werden. Das wäre preiswerter, unbürokratischer und sozial-gerechter. Die KEF-Prüfung der Rundfunkfinanzen bliebe dabei bestehen.

Um den gordischen Knoten Medienpolitik zu zerschlagen, grundsätzliche Reformen einfordern und gleichzeitig die Rundfunkautonomie nicht zu beschädigen, müssen die 16 Landes-Regierungen den Mut aufbringen und neue Wege bestreiten. Der große Wurf besteht darin, das die Landes-Regierungen zwischen Politik und öffentlichen Rundfunkanstalten eine unabhängige Rundfunk-Stiftung (u.a. mit Medienexperten) zwecks Problemlösung einrichten. Diese Stiftung nimmt Zielvorgaben bzw. den Reform-Rahmen der Politiker für eine grundsätzliche Reform entgegen, arbeitet konkrete Reformvorhaben aus und setzt diese mit den Sendeanstalten in gemeinschaftlicher und konstruktiver Arbeit in Einzelschritten zielgerichtet um. Mit den Sendeanstalten überprüft die Stiftung die Erfolge der einzelnen Reformschritte und wenn nötig, steht die Stiftung mit Beratung und konkreten Lösungen für Nachbesserungen den Sendeanstalten hilfreich zur Seite. Die Mitarbeiter von ARD und ZDF werden aktiv in die Reformarbeiten eingebunden.

In den Stiftungsrat entsenden die Bundesländer insgesamt 16 Vertreter aus den Bereichen Politik, Kultur, Bildung und Gewerkschaften (für die festangestellten und freien Mitarbeiter des ÖRR). Darüberhinaus entsenden die Bundesländer 16 Bürger als Vertreter der Zuschauer und Hörer von ARD und ZDF. Diese Vertreter können über die Erwachsenenbildung, Vereine und Medien-Organisationen ermittelt werden. Der Stiftungsrat übt die Kontrollfunktion über die Stiftungs-Geschäftsleitung aus und beteiligt sich, in Form von Gesprächen und Fachdiskussionen mit Bürgern, der Zivilgesellschaft und den ÖRR-Mitarbeitern an Lösungen für grundsätzliche und nachhaltige Reformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das gemeinsame Ziel ist ein qualitativ-hochwertiger ÖRR, der seinem Informations- und Kultur-Auftrag (auch mit Unterhaltung und Sport) umfassend gerecht und von der Gesellschaft akzeptiert und finanziert wird. Ein Rundfunk, der gesichert den Erfordernissen in Gegenwart und Zukunft in allen Bereichen gerecht wird – für seine Bürger und die Demokratie.

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